Die Räuberbraut
unerfreuliche Situation vorstellen: nämlich daß Roz in ein völlig fremdes Zimmer stürmt und mit Möbeln und Beschuldigungen um sich schmeißt und Gift und Galle spuckt und Harriet vor den Kadi gezerrt wird, weil sie ihr die falsche Zimmernummer gegeben hat.
Folglich sitzt Roz auf glühenden Kohlen. Sie reißt sich zusammen, setzt sich an ihren Schreibtisch und schlägt die Lippen-für-die-Neunziger -Akte auf, die Boyce mit Anmerkungen versehen hat. Die Finanzplanung gefällt ihr, die Entwürfe gefallen ihr: aber Boyce hat recht, der Name selbst stimmt nicht, weil sie die Serie auf mehr als nur Lippenstifte ausdehnen wollen. Ein Lidschatten, der gleichzeitig gegen geschwollene Lider hilft, wäre ein Durchbruch, Roz würde ihn sofort kaufen, und wenn sie etwas kaufen würde, ist das ein todsicheres Zeichen dafür, daß auch eine Menge anderer Frauen es kaufen würden, vorausgesetzt, der Preis stimmt. Die Neunziger müssen auch noch aus einem anderen Grund weg. Bis jetzt waren sie nichts besonders Großartiges, obwohl sie erst ein Jahr alt sind, wieso also betonen, daß alle unweigerlich in ihnen feststecken?
Nein, als Roz Boyces säuberliche Notizen am Rand der Vorschläge liest – er hat wirklich Talent, dieser Junge –, stimmt sie mit ihm überein, daß sie auf die Schiene Zeitreisen setzen sollten, auf Geschichte, Geschichte mit großem G, und zwar über den Aufhänger der Flußnamen. Es fällt Frauen leicht, sich vorzustellen, in einem anderen Zeitalter ein romantisches Leben zu führen, einem Zeitalter, in dem es keine Wasserspülungen und Jacuzzis und elektrische Kaffeemühlen gab, einem Zeitalter, in dem es die Aufgabe eines Haufens tuberkulöser, vor ihrer Zeit gealterter Dienstboten war, die Unterhosen der Männer zu waschen, falls sie welche hatten, von Hand, und die Koteimer zu leeren und in dunklen, rattenverseuchten Küchen Wasser in großen Kübeln heiß zu machen und die Kaffeebohnen mit den Füßen zu zertrampeln wie Weintrauben. Roz würde sich jederzeit für technische Neuerungen entscheiden. Für technische Neuerungen mit einjähriger Garantie, und für zuverlässige Haushaltshilfen, die zweimal die Woche kommen.
Was die Anzeigen angeht, so will sie jede Menge Spitzen sehen. Spitzen, und eine Windmaschine, daß die Haare nur so fliegen und dieser dramatische Charleston-brennt-Effekt entsteht. Man müßte die Fotomodelle von schräg unten aufnehmen, mit leicht nach oben gerichteter Kamera. Statuesk, monumental, solange man nicht in ihre Nasenlöcher gucken kann, was das Problem ist, das Roz immer mit den bronzenen Helden zu Pferde hat. Außerdem ist ihr noch ein Flußname eingefallen, noch eine Farbe: Athabaska. Ein bräunliches Rosa. Eine Mischung aus Frostbeule und viel Bewegung in frischer Luft. Wie man im Norden nun einmal wird, wenn man keinen Sonnenschutz verwendet.
Das Telefon klingelt, und Roz fällt praktisch darauf. »Harriet«, sagt Harriet. »Es ist das Arnold Garden, hundert Prozent, Zimmer 1409. Ich bin selbst da gewesen und hab mich als Zimmermädchen ausgegeben, das frische Handtücher bringt. Kein Zweifel.«
»Super«, sagt Roz und notiert sich die Zimmernummer.
»Da ist noch was, was Sie wissen sollten«, sagt Harriet. »Bevor Sie das Zimmer stürmen.«
»Was? Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um?« sagt Roz ungeduldig. »Worum geht’s?«
»Sie scheint eine Affäre oder etwas Ähnliches zu haben, mit... nun ja, mit einem bedeutend jüngeren Mann. Unserer Information zufolge ist er fast jeden Tag bei ihr auf dem Zimmer.«
Warum klingt Harriet so vorsichtig? denkt Roz. »Das würd mich nicht überraschen«, sagt sie. »Zenia würde alles plündern, Kindergärten eingeschlossen. Solang er reich ist.«
»Das ist er«, sagt Harriet. »Sozusagen. Oder er wird es sein.« Ein Zögern in ihrer Stimme.
»Wieso erzählen Sie mir das?« sagt Roz. »Es ist mir völlig schnuppe, mit wem sie bumst.«
»Sie haben mich gebeten, alles in Erfahrung zu bringen«, sagt Harriet vorwurfsvoll. »Der fragliche junge Mann scheint Ihr Sohn zu sein.«
»Was?« sagt Roz.
Als sie eingehängt hat, schnappt sie sich ihre Handtasche und stürzt in den Aufzug und dann in einem schnellen Trab hinaus auf die Straße, so schnell ihre verflixten Schuhe es erlauben. Sie stürmt den nächsten Zigarettenladen und kauft drei Päckchen du Mauriers und reißt eins mit zitternden Fingern auf und zündet so hastig an, daß sie sich fast die Haare anbrennt. Sie wird Zenia umbringen, sie wird
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