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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Zenia vielleicht gelogen hat. Vielleicht hat sie über Billy gelogen, über die Hühner, über alles. Sie hat Charis auch früher belogen, und genauso überzeugend. Warum sollte sie es jetzt nicht auch getan haben?

53
    Roz beugt sich herüber und drückt Charis mit einem Arm an sich. »Natürlich hat sie gelogen«, sagt sie. »Billy hätte so was nie gesagt.« Was weiß sie schon über Billy? Absolut nichts, sie hat ihn nie kennengelernt, aber sie ist bereit, im Zweifelsfall zu seinen Gunsten zu entscheiden, denn was kostet das schon, und abgesehen davon möchte sie die Dinge etwas aufhellen. »Zenia ist einfach nur bösartig. Sie sagt all diese Sachen nur, weil es ihr Spaß macht. Sie wollte dich nur aus der Fassung bringen.«
    »Aber warum?«, sagt Charis, den Tränen nahe. »Warum sagt sie so was? Sie war so negativ. Es hat wirklich wehgetan. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.«
    »Es ist in Ordnung, Baby«, sagt Roz und drückt Charis noch einmal an sich. »Zum Teufel mit ihr! Wir laden sie einfach nicht mehr zu unseren Geburtstagsparties ein, nicht?«
    »Um Himmels willen«, sagt Tony, weil Roz immer zu weit geht. Tony findet diese Szene viel zu infantil. »Das hier ist nicht komisch!«
    »Ja«, sagt Roz und reißt sich zusammen. »Ich weiß.«
    »Und ich hab doch ein Leben«, sagt Charis und blinzelt mit feuchten Augen.
    »Du hast ein reiches inneres Leben«, sagt Tony mit fester Stimme. »Mehr als die meisten.« Sie wühlt in ihrer Tasche, findet ein zerknülltes Taschentuch und gibt es Charis. Charis schneuzt sich die Nase.
    »Jetzt ich«, sagt Roz. »Mrs. Vollschlank trifft Königin der Nacht. Auf der Vergnügungsskala weit unter den möglichen zehn Punkten.«
     
    Roz läuft in ihrem Büro auf und ab. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Papiere, Projektberichte und Unterlagen karitativer Stiftungen, die Lebern, die Nieren, die Lungen und die Herzen streiten sich um ihre Aufmerksamkeit, ganz zu schweigen von den obdachlosen und mißhandelten Frauen, aber sie werden warten müssen, denn um geben zu können, muß man erst mal gemacht haben, Geld wächst nicht auf Bäumen. Eigentlich müßte sie über das Rubikon-Projekt nachdenken, präsentiert von Lookmakers. Lippenstifte für die Neunziger lautet das Konzept, das sie vorgeschlagen haben, aber Boyce sagt, daß sich das liest wie Gebißkleber für Neunzigjährige. Roz kann sich im Augenblick nicht damit beschäftigen, sie ist zu sehr von anderen Dingen in Anspruch genommen. Was heißt in Anspruch genommen? Beherrscht! Besessen! Ihr Körper ist ein hormonbeheizter Brennofen, in ihrem Kopf sieht es aus wie in einer Autowaschanlage, all diese Bürsten, die sich unablässig drehen, herumfliegender Schaum, verschwommene Sicht. Zenia pirscht frei herum, weiß der Himmel wo. Vielleicht klettert sie in eben diesem Augenblick wie eine Fliege an der Fassade dieses Gebäudes hoch, Saugnäpfe an den Sohlen ihrer Füße.
    Roz hat sämtliche Mozartkugeln aufgegessen, sie hat jede einzelne Zigarette aufgeraucht, und einer von Boyces Nachteilen, sein einziger, im Grunde genommen, ist, daß er nicht raucht, folglich kann sie keine Kippe bei ihm schnorren, seine Lungen jedenfalls sind so rein wie frischgefallener Schnee. Vielleicht hat die neue Rezeptionistin unten – Mitzi, Bambi? – irgendwo ein Päckchen versteckt; sie könnte sie anrufen, aber wie demütigend, Mrs. Boss kratzt vor Gier nach einer Kippe die Tapete ab.
    Sie will das Gebäude nicht verlassen, weil Harriet, die Privatdetektivin, ungefähr jetzt anrufen muß. Roz hat sie gebeten, sich jeden Nachmittag um drei zu melden und sie auf den neuesten Stand zu bringen. »Wir kommen der Sache allmählich näher«, war alles, was Harriet in den ersten Tagen sagte. Aber gestern sagte sie: »Es gibt zwei Möglichkeiten. Das King Eddy oder das Arnold Garden. Die Leute, die wir – die Leute, die sich freundlicherweise bereit erklärt haben, das Foto zu identifizieren – sind absolut sicher, daß sie es sein muß.«
    »Wieso denken Sie, daß Sie zwischen den beiden Möglichkeiten wählen müssen?« sagte Roz.
    »Wie bitte?« sagte Harriet.
    »Ich wette, um was Sie wollen, daß sie in beiden Hotels ein Zimmer hat«, sagte Roz. »Wär typisch für sie! Zwei Namen, zwei Zimmer!« Alle Füchse graben sich einen Notausgang. »Wie sind die Zimmernummern?«
    »Lassen Sie uns das Ganze noch mal nachprüfen«, sagte Harriet vorsichtig. »Ich geb Ihnen Bescheid.« Offensichtlich konnte sie sich eine hochgradig

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