Die Räuberbraut
Liste streichen.«
»Ich glaub nicht, daß ich das kann«, sagt Charis.
»Dein Problem«, sagt Zenia. Sie steht auf, geht zum Schrank und fängt an, ihre Kleider durchzusehen.
Aber es gibt noch etwas, was Charis wissen will, und sie nimmt all ihre Kräfte zusammen, um die Frage zu stellen. »Warum hast du meine Hühner umgebracht?« sagt sie. »Sie haben keinem was getan.«
»Ich hab deine verdammten Hühner nicht umgebracht«, sagt Zenia und dreht sich um. Sie klingt amüsiert. »Das war Billy. Und es hat ihm Spaß gemacht, ihnen mit dem Brotmesser den Hals durchzuschneiden. Er hat gesagt, er tut ihnen einen Gefallen, sie aus diesem dreckigen Hühnerslum zu erlösen. Aber in Wahrheit hat er sie gehaßt. Nicht nur das, er hat sich fast schief gelacht bei dem Gedanken, wie du ins Hühnerhaus gehen und sie finden würdest. Eine Art Situationskomik, fand er. Er war richtig begeistert.«
In Charis zerbricht etwas. Zorn überwältigt sie. Sie möchte Zenia packen, sie möchte sie am Hals packen und zudrücken, bis Charis’ Leben, das Leben, das sie sich vorgestellt hat, all die guten Dinge in diesem Leben, die Zenia getrunken hat, aus ihr herausgesprudelt kommen wie Wasser aus einem Schwamm. Die Heftigkeit ihrer Reaktion entsetzt sie, aber sie hat die Kontrolle verloren. Ihr Körper ist von einem weißglühenden Licht erfüllt und umgeben; flammende Flügel schießen aus ihr hervor.
Dann ist sie hinter dem geblümten Vorhang, neben der Tür zum Balkon, außerhalb ihres eigenen Körpers, und beobachtet. Ihr Körper steht dort, wo sie ihn zurückgelassen hat. Jemand anderes hat ihn in seiner Gewalt. Es ist Karen. Charis kann sie sehen, einen dunklen Kern, einen Schatten, mit langen, wirren Haaren, groß geworden, riesig geworden. Sie hat die ganze Zeit, all die vielen Jahre, auf einen Augenblick wie diesen gewartet, einen Augenblick, in dem sie in Charis’ Körper zurückkehren und ihn benutzen kann, um zu morden. Sie bewegt Charis’ Hände auf Zenia zu, Hände, um die ein blaues Licht spielt; sie ist unglaublich stark, sie stürzt sich auf Zenia wie ein lautloser Wind, sie stößt sie nach hinten, durch die Balkontür, und Glas zersplittert wie Eis. Zenia ist purpurn und rot und funkelt wie Juwelen, aber sie ist der schattenhaften Karen nicht gewachsen. Die hebt Zenia hoch – Zenia ist leicht, sie ist hohl, sie ist von Krankheiten zerfressen und innerlich verfault, sie ist wesenlos wie Papier – und wirft sie über die Balkonbrüstung, sie beobachtet, wie sie hinunterflattert, vom Turm hinunterflattert, und auf der Kante des Springbrunnens aufschlägt, und aufplatzt wie ein alter Kürbis. Hinter dem geblümten Vorhang versteckt, ruft Charis klagend: Nein! Nein! Kein Blutvergießen, keine Hunde, die im Hof die Überreste fressen, das will sie nicht. Oder?
»Jedenfalls ist das alles Geschichte«, sagt Zenia im Plauderton. Charis ist wieder in ihrem eigenen Körper, sie hat ihn wieder unter Kontrolle, sie geht auf die Tür zu. Nichts ist geschehen. Nein, nichts ist geschehen. Sie dreht sich um und sieht Zenia an. Schwarze Linien strahlen von ihr aus, wie die Fäden eines Spinnennetzes. Nein. Schwarze Linien laufen auf sie zu, zielen auf sie; bald wird sie völlig in ihnen verfangen sein. Mittendrin flattert ihre Seele, ein bleicher Nachtfalter. Sie hat also doch eine Seele.
Charis sammelt all ihre Kräfte, all ihr inneres Licht; sie ruft sie an, ihr bei dem zu helfen, was sie tun muß, weil es eine große Anstrengung sein wird. Was immer Zenia getan hat, wie abgrundtief böse sie auch gewesen sein mag, sie braucht Hilfe. Sie braucht Hilfe von Charis, auf der spirituellen Ebene.
Charis’ Mund öffnet sich. »Ich vergebe dir«, hört sie sich sagen.
Zenia lacht zornig auf. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?« sagt sie. »Glaubst du, es interessiert mich einen Dreck, ob du mir vergibst oder nicht? Du kannst dir deine Vergebung Gott weiß wohin stecken! Besorg dir einen Mann! Besorg dir ein Leben!«
Charis sieht ihr Leben so, wie Zenia es sehen muß: ein leerer Pappkarton, der umgekippt am Straßenrand liegt, mit niemandem darin. Niemand, der erwähnenswert wäre. Irgendwie ist das das Schmerzlichste von allem.
Sie ruft ihre Amethyst-Druse an, schließt die Augen, sieht Kristall. »Ich hab ein Leben«, sagt sie. Sie strafft die Schultern und dreht den Türknauf und versucht, die Tränen zurückzuhalten.
Erst als sie mit unsicheren Schritten durch die Halle zur Tür geht, kommt ihr der Gedanke, daß
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