Die Raffkes
Westernhage.«
»Richtig«, nickte er. »Stralauer Straße 13. Allerdings habe ich keine Schlüssel. Das ist ein Problem.«
»Wahrscheinlich ist es keines für meinen lieben John. Gut, ich schicke ihn hin. Ich hörte, Sascha Sirtel ist tot.«
»Ja. Er ist in seinem eigenen Truck verbrannt.«
»Die arme Mutter«, murmelte Tante Ichen. »Ist an dem Unfall etwas unklar?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Mann zurückhaltend. »Und jetzt muss ich los … Wo steht eigentlich mein Auto?«
»Vor der Tür«, erklärte sie hoheitsvoll. »Falls du dich erinnerst, hat uns John zu diesem Zelt gefahren.«
Das schien Tage her zu sein.
Mann machte sich fertig, aß im Vorübergehen ein Brötchen, trank den furchtbaren Kaffee seiner Tante und begab sich dann auf den Weg zu Bolle.
Hundertmal war er schon an dieser Kneipe vorbeigegangen, hatte sie aber nie betreten. Das Innere war ein langer, schmaler Schlauch mit einer Theke so lang wie der ganze Raum. Ein Pappschild mit der Aufschrift Erstklassige Buletten. Selbst gemacht! stach Mann als Erstes ins Auge. Daneben thronte Blum auf einem Hocker und trank Wasser.
»Wahrscheinlich hast du auch nicht geschlafen«, sagte er zur Begrüßung. »Das ist schon ein Scheißberuf. Heute Morgen sind vier da. Wir können sofort anfangen.«
Mann sah sich um und war verwirrt.
Blum grinste: »Es gibt ein Hinterzimmer. Ziemann hat dieses Etablissement schon vor zehn Jahren aufgetan.«
Mann ließ sich ein Tellerchen mit zwei Buletten und Senf geben. Dazu bestellte er eine Tasse Kaffee.
»Und wer versammelt sich hier?«
»Na ja, ursprünglich war das ein Kegelklub. Lauter Kollegen. Mit der Zeit wurde es dann ein Debattierverein. Und heute tauschen sich hier einige Leute über bestimmte Fälle aus. Das ist gut, das bringt was. Seit Ziemann tot ist, kannst du hier jeden Tag ein paar von uns treffen.«
»Ein Elite-Treff?«, fragte Mann ironisch.
»Wenn du so willst«, nickte Blum. Er ging voran.
Der Raum hatte eine sehr niedrige Decke. Er wirkte wie eine Rumpelkammer, weil Stapel von Plastikstühlen herumstanden, alte Tische aufeinander getürmt waren, uralte Plakate an den Wänden moderten.
»Leute«, sagte Blum. »Das ist Jochen Mann. Der da, der Rothaarige, ist Stephan, der daneben heißt Otto, dann kommt Ulrich und dahinten sitzt Gerhard.«
Mann nickte ihnen zu und suchte sich einen Platz.
»Wir verfolgen die Vorgänge in dieser Stadt ja schon ein bisschen länger. Daher wäre es gut, wenn wir zuerst deine Einschätzung hören könnten. Deine Eindrücke sind vielleicht noch ein bisschen unvoreingenommener«, bat Blum.
»Meine Einschätzung«, sagte Mann, »ist so, dass ich keine Einschätzung habe. Ich stecke erst seit ein paar Tagen in dieser Sache und ich finde den Komplex vollkommen chaotisch. Ziemann hat mir quasi im Vorbeigehen zu verstehen gegeben, dass alles irgendwie zusammenhängt: die Bankgesellschaft und ihre merkwürdigen Immobiliengeschäfte, die Pleite der Stadt, der Filz unter Politikern und den Wichtigen, und dass der kleine Bürger mit seinen Steuern für alle Schweinereien geradestehen muss. Ich habe Leute wie Sittko, Dreher und Blandin einmal im Leben gesehen und kann daraus keine Schlüsse ziehen. Ich höre von linken Geschäften mit Plattenbauten und Baumärkten, mit Einkaufscentern und so weiter. Aber wirklich dingfest scheint das alles nicht zu sein, und …«
»Hört, hört«, grinste Blum.
Mann war plötzlich verärgert. »Blum, hör zu, ich habe mich nicht hierher gedrängt. Ich kann nichts damit anfangen, dass mir jemand mit Kulleraugen erklärt, hinter dem ganzen Immobiliengeschäft steckten ein durchgeknallter Schwuler und sein Netzwerk. Das interessiert mich nicht. Ich kann auch nichts dazu sagen, dass Leute wie Blandin oder Dreher ein immer größeres Rad auf Kosten der Berliner gedreht haben.«
»Und was ist mit den Toten?«, fragte der Rothaarige, der Stephan hieß.
»Das ist etwas anderes«, räumte Mann ein. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht unter dem Durcheinander zu sehen ist, mit dem die Bank eingenebelt wurde. Mord ist Mord.
Ich kann helfen, diese Fälle zu klären, aber ich bin dafür, die Untersuchungen der Wirtschaftsleute nicht zu stören, sich da nicht einzumischen. Offensichtlich ist es doch so, dass es nicht so einfach ist, rechtliche Hebel zu finden, mit denen man Blandin und Konsorten vor den Kadi bringen kann – so verwerflich ihr Umgang mit der Verantwortung für die Bankgesellschaft auch ist«, Mann kam ins Stocken, ihm fiel etwas
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