Die Raffkes
»Also: Stellt euch Eisenrohrstücke von der Länge exakt des Pilotenkoffers vor. Die Rohrstücke sind gefüllt mit Schrauben und Nägeln und C4. Die Eisenrohre haben wahrscheinlich einen Durchmesser von etwa fünf bis sechs Zentimetern und sind selbstverständlich an beiden Seiten fest verschlossen. In den Pilotenkoffer passen etwa zwölf dieser Rohrstücke. Sie sind untereinander mit einfachem Draht verbunden. Wird die Zündung betätigt, geht die ganze Tasche hoch. Mit den Folgen, die wir gesehen haben. Wie genau diese Zündung funktionierte, wissen wir noch nicht, aber wahrscheinlich war es ein Stromkreis, der durch eine einzige Bewegung mit einem Draht oder einem Faden geschlossen wurde. Sehr simpel und sehr tödlich.«
»Also trägt diese Bombe keine individuelle Handschrift?«, hakte Ziemann nach.
»So weit sind wir noch nicht«, sagte Haferkamp. »Ich hätte gern ein belegtes Brötchen. Am besten mit Käse.«
Mann stand auf und ging zur Theke. Er bekam einen Teller mit dem Gewünschten und brachte ihn Haferkamp.
»Frage«, sagte Ziemann gerade. »Können wir ausschließen, dass der Bombenbauer identisch ist mit dem Bombenleger?«
Haferkamp nickte. »Nach meinem Verständnis hat der Bombenleger vom Bombenbauer gesagt bekommen: Nimm diese Tasche, trag sie in das Lokal, stell sie ab. Und ehe du sie abstellst, zieh bitte an dem Zwirnsfaden, der oben am Tragegriff befestigt ist. Du hast dann drei Minuten Zeit, um zu verschwinden. Das hat der Mann getan und war augenblicklich tot. Wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelte.«
»Was sagen denn die Israelis?«, fragte Mann.
»Die sind wie immer höflich und zurückhaltend und blicken ergeben in den Himmel, wenn ihre amerikanischen Freunde reden. Habt ihr denn eine Ahnung, wer oder was dahinter stecken könnte?«
»Wir tappen im Nebel«, sagte Ziemann schnell.
»Was haben die Recherchen zu den toten und lebenden Gästen ergeben?«
»So gut wie gar nichts«, antwortete Mann. »Es gibt zwei Lesarten: Entweder war das ein durchgeknallter Typ, einfach ein Bombenfreak, oder eben jemand, der den klaren Auftrag hatte, einen bestimmten Menschen in die Luft zu jagen.«
»Na ja«, murmelte Haferkamp und betrachtete die Reste seines Käsebrötchens. »Dann müsst ihr euch den angucken, der dem Attentäter am nächsten war. Dr. Walter Sirtel, Rechtsberater der Bankgesellschaft, ein Spezialist im Hintergrund. Je teurer seine Gutachten, desto nichts sagender.« Er grinste seine Gegenüber freundlich an und setzte dann hinzu: »Aber so weit seid ihr auch schon, oder?«
Ziemann nickte. »Was weißt du noch über Sirtel?«
»Nichts. Ich lese nur Zeitung. Ich weiß, dass eine Unmenge von Anwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und denjenigen, die alles gleichzeitig machen, eine Unmasse Geld an dieser Bank verdient haben. Und Sirtel war einer von diesen Verdienern.« Unvermittelt stand Haferkamp auf und erklärte: »Ich muss weiter, Kinder, ins Labor.« Er hob die Faust wie ein Revolutionär und krähte fröhlich: »Tod allen Mettbrötchen!«, dann stolzierte er huhnartig davon.
»Er hat vor einem Jahr seine Frau verloren. Krebs«, murmelte Ziemann. »Ich verschwinde jetzt auch. Ich bin für dich ständig zu erreichen.«
»Wer ist Benny?«, wollte Mann wissen. »Du hast die bemerkenswerte Eigenschaft, Namen oder Tatsachen in den Raum zu schmeißen und dann nicht zu erklären, was du meinst.«
»Nicht jetzt. Später«, wehrte Ziemann grinsend ab. »Bezahlst du?« Er stand auf.
Kurz vor der Tür drehte er um und kehrte zurück. »Fühl dich nicht gedrängt, aber es ist mir wichtig, dich dabeizuhaben.«
»Ja, ja«, nickte Mann perplex. Er spazierte durch die Mittagssonne. Die Terrasse vom Nola’s war dicht besetzt, Mütter schoben ihre Kinderwagen und sahen erschöpft aus, Rentner hockten auf den Bänken und starrten ins Nichts. Mann überlegte verstört: Die beiden scheinen eine Front aufgemacht zu haben, sie sind so etwas wie eine kleine Untergrundarmee. Und sie wissen alles über die Bankenaffäre. Sie treffen sich vermutlich, um Kraft zu tanken. Aber für was verwenden sie diese Kraft? Was kommt dabei heraus, außer Hohn und Satire? Sein Handy meldete sich. Katharina.
»Bist du jetzt zu Hause?«
»Ich bin auf dem Weg dorthin.«
»Dann komme ich auch«, sagte sie sachlich. »Bis gleich.« Statt nun zügig weiterzugehen, wählte Mann die Nummer seines Chefs, Kolthoff.
»Jochen hier. Was habe ich gehört? Der
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