Die Rasse der Flügelmenschen
war ja nur eine Frau.
Ein plötzlicher Windstoß ließ die trockenen Gegenstände, die an einer Rahe hingen, klappern: Die Schwingen irgendeines Seemannes, der sich etwas hatte zuschulden kommen lassen und jetzt wohl an ein Ruder gefesselt war. Rodonis stellte sich Delps Rücken mit zwei roten Stummeln vor, und ihr Ärger machte sich in einem Schrei Luft.
»Du wagst es, in einem solchen Ton mit einer sa Axallon zu sprechen!«
Der Soldat kannte sie nicht persönlich, denn die Flotte hatte Tausende von Bürgern, aber er erkannte das Offizierstuch, das sie trug.
»Aufs Deck mit dir, du Schmutzfink!« schrie Rodonis. »Bedecke deine Augen, wenn du mit mir sprichst!«
»Ich – Mylady«, stammelte er, »ich wollte nicht –«
Sie raste im Sturzflug direkt auf ihn los. Er mußte ihr aus dem Wege weichen. Ihre Stimme krachte wie eine Peitsche. »Vorausgesetzt natürlich, daß dein Bootsmann mich zuerst um Erlaubnis gebeten hat, daß du mich überhaupt ansprechen darfst.«
»Aber – aber – aber …« Andere Soldaten waren inzwischen herbeigeflogen und kreisten ebenso hilflos in der Luft.
Ein Offizier auf dem Hauptdeck meisterte die Situation schließlich, als Rodonis landete. »Mylady«, sagte er respektvoll, »es geziemt sich nicht für eine Dame, zu solch später Stunde ohne Begleitung unterwegs zu sein, noch weniger aber, dieses Floß der Sorge aufzusuchen.«
»Es ist aber notwendig«, sagte sie. »Ich habe Kapitän T’heonax eine wichtige Botschaft zu überbringen, die keinen Aufschub duldet.«
»Der Kapitän wacht an der Koje seines ehrwürdigen Vaters, Mylady. Ich wage es nicht –«
»Dann soll er Ihnen die Zähne ziehen lassen, wenn er davon erfahrt, daß Rodonis sa Axallon eine neue Meuterei hätte verhindern können.«
Sie stürmte über das Deck und lehnte sich an die Reling, als wolle sie mit ihrem Ärger und dem Meer allein sein. Der Offizier keuchte. »Mylady, sofort – warten Sie, warten Sie nur einen kleinen Augenblick. Posten! Wache, dort! Paßt auf Mylady auf.« Er rannte weg.
Rodonis wartete. Nun kam die eigentliche Probe.
Bis jetzt war es nicht schwierig gewesen. Die ganze Flotte war zu nervös, keiner der Offiziere hätte es gewagt, sie aufzuhalten, wenn sie von einer zweiten Meuterei sprach.
Die erste war schlimm genug gewesen. So etwas war seit mehr als hundert Jahren nicht mehr dagewesen, und noch dazu, wo die Flotte sich im Krieg befand! Die allgemeine Meinung, die von oben her sorgfältig propagiert wurde, ging aber dahin, daß überhaupt nichts Ernsthaftes vorgefallen war. Ein bedauerliches Mißverständnis. Delps Leute, die unter falscher Führung standen, hätten aus Loyalität für ihren Kapitän diesen hoffnungslosen Kampf gekämpft.
Rodonis erinnerte sich an die Unterredung, die sie vor Tagen mit Syranax gehabt hatte.
»Es tut mir leid, Mylady«, hatte er gesagt. »Ihr Gatte ist provoziert worden, und das Recht war eher auf seiner Seite als auf der von T’heonax.«
»Dann soll doch auch Ihr Sohn dafür büßen!« hatte sie geschrien.
Sein hagerer alter Schädel neigte sich vor und zurück. »Nein, er mag nicht gerade der Beste sein, aber er ist mein Sohn. Um der Flotte willen muß T’eonax mein Nachfolger werden, ohne daß irgend jemand Widerspruch erhebt, und dazu muß sein Ruf rein sein.«
»Aber warum kann Delp nicht auch freigelassen werden?«
»Beim Polarstern, wenn ich das nur könnte! Aber das ist nicht möglich. Jedem anderen kann ich Amnestie geben und werde das auch tun. Aber einer muß die Schuld tragen und für die Schmerzen büßen, die wir alle erlitten haben. Delp muß beschuldigt werden, eine Meuterei angezettelt zu haben, und auch dafür bestraft werden.«
Der Admiral seufzte, und sein schwerer Atem rasselte in seinen müden Lungen. »Ich wünsche beim Polarstern, daß ich es nicht tun muß. Ich wollte … Ich habe nichts gegen Sie, Mylady. Ich wollte, wir könnten wieder Freunde sein.«
»Das könnten wir«, flüsterte sie, »wenn Sie Delp freilassen.«
Der Eroberer von Maion sah sie an und sagte dann nach kurzem Schweigen: »Nein. Und jetzt gehen Sie bitte.« Sie war gegangen.
Die Tage vergingen, dann kam die Verhandlung gegen Delp, eine Farce vom Anfang bis zum Ende, der Urteilsspruch und dann das schreckliche Warten auf seine Vollstreckung. Der Angriff der Lannach’honai war wie ein kurzes Erwachen aus den Fieberträumen eines Kranken gewesen, denn plötzlich waren die Männer auf den Schiffen keine Feinde mehr, sondern Krieger, die den
Weitere Kostenlose Bücher