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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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keinen Sinn, auf ihr herumzuhacken. Er bedankte sich bei den Sanitätern. »Machen Sie ihr ein ordentliches Steak«, meinte der jüngste von ihnen, während er seinen Verbandskasten zusammenräumte. Er nickte. Mariannes Hand blieb kalt und erinnerte ihn an finstere Vorfälle, die in den Wirrnissen ihrer Kindheit verborgen waren. »Wie dem auch sei, Ende gut, alles gut«, sagte Richard, der sie nicht aus den Augen ließ. »Aber Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Marianne, das kann ich Ihnen sagen. Bitte, seien Sie so gut, und tun Sie das nie wieder, einverstanden?«
    Sie beschwichtigte ihn mit einer Geste, die noch schwach und verlegen wirkte, während ihr Bruder ihr eine Zigarette in den Mund steckte und sie energisch in Richtung Parkplatz geleitete. Seit zwei oder drei Tagen war der Frühling eingezogen, die Mimosen blühten, die Hortensien auch.
    »Machen wir keine große Sache daraus«, sagte sie, als sie losfuhren. »Und versuch bitte, uns nicht um einen Baum zu wickeln.«
    Er feixte. »Ich frage mich, was ihr zusammen in der Bibliothek gemacht habt.«
    »Reiner Zufall. Red keinen Blödsinn.«
    Er schaltete zurück und ließ den Motor aufheulen, bevor er schwungvoll in eine enge Kurve ohne Leitplanken steuerte. Die Stoßdämpfer quietschten. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und die Vögel flogen auf, als seien sie auf der Flucht vor einem Heereszug. Und reagierten ihrerseits mit aufgeregtem Piepsen.
    »Mir wird schlecht«, sagte sie.
    »Wie bitte? Was?«
    »Wenn du weiter so rast, wird mir schlecht.«
    »Was?«
    Er fuhr sofort rechts ran, stürzte aus dem Fiat und umrundete ihn in Bestzeit, riss ihre Tür auf. »Bitte, Marianne. Spuck nicht wieder ins Auto. Sei so gut. Reiß dich zusammen. Beug dich hier rüber. Soll ich dir helfen?«
    Sie schlug sein Angebot aus. Sie hatte eine ziemlich schlimme Beule über der Schläfe. Sie bedeutete ihm, dass es ihr besserginge. »Wirklich?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ist es vorbei? Wie fühlst du dich? Bist du sicher? Ganz sicher?« In ihrer Rettungsdecke sah sie aus wie eine fünfzigjährige Säuferin, die er am Straßenrand aufgegabelt hatte.
    In den umliegenden Wäldern herrschte Stille, der abkühlende Motor klackerte wie ein Skelett. Er wollte sie noch zu Atem kommen lassen. Ein wenig frische Luft würde ihr nicht schaden – obwohl sie so schwach aussah, als könne sie schon ein Windstoß davontragen. Er schämte sich ein bisschen, dass er nicht besser aufgepasst hatte und ihm entgangen war, dass sie wieder mal einen Durchhänger hatte – dabei waren die 0   % weiß Gott ein deutliches Zeichen, ein klares Signal, aber er hatte nicht darauf geachtet, da ihn andere Sorgen quälten.
    Es hätte ihm auffallen müssen, dass sie blass war, dass sie sich öfter hinsetzte, dass sie weniger redete, aber er war mit den Gedanken definitiv woanders gewesen.
    »Geht’s? Geht’s besser?«, fragte er.
    »Aber ja«, antwortete sie gereizt. »Gib mir eine Zigarette.«
    Er zündete zwei Zigaretten an und hielt ihr eine hin. Die Luft war kalt, aber die Sonne schien. Auf dem See trugen liliputanerhafte Segler eine Regatta aus. »Ich bestelle was beim Japaner, okay?« Er wählte die Nummer des Japaners, ohne ihre Antwort abzuwarten.
    Als sie angekommen waren, stützte er sie auf dem Weg vom Beifahrersitz des Fiat bis zum Wohnzimmersofa – das er kurzerhand von ihren Zeitschriften, Fernsehprogrammen und all ihrem Literaturkram frei räumte, damit sie sich hinlegen konnte.
    Sie fühle sich nun wieder ganz ordentlich, beteuerte sie. Sie brauche keine Hilfe, und es sei noch zu früh, um zu Bett zu gehen. Für heute sei das Maß voll, antwortete er, sie habe bis zum Abend nichts anderes zu tun, als sich auszuruhen, er wolle nichts hören, sie solle erst gar nicht versuchen, ihn umzustimmen.
    »Ein bisschen rohen Fisch zu essen wird dir guttun«, erklärte er, als er sie in einen Kissenberg setzte. »Rohes Fleisch übrigens auch.« Sie gönnten sich eine Zigarette. Sie verharrten schweigend, während hinter den dunklen Bergkämmen die Sonne unterging und den Horizont mit goldenem Dunst überzog.
    »Ich fahre zur Apotheke. Ich bringe dir ein paar Filme mit. Was hältst du von einer guten Serie?« Sie hatten sich Twin Peaks zusammen angesehen, in einem Sommer, aus dem sie geschwächt hervorgegangen war und lange Thalassotherapiebehandlungen in La Baule oder ruhige Spaziergänge in der Toskana gebraucht hatte, und das alles ganz auf eigene Kosten. Seit der Krise war

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