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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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schlechtes Zeichen ist? Nun, wir werden ja sehen, was die Zukunft bringt…«, sagte er, als er ihr die Wagentür aufhielt.
    Er beobachtete sie von weitem, während er bezahlte – die Maschine wollte partout seine Karte nicht annehmen –, verärgert und erfreut zugleich über ihr Auftauchen. Kein Vergleich zu dem, was die diversen Studentinnen bei ihm auslösten, die er all die Jahre getroffen hatte, es war nicht dasselbe, nein: Hier erschloss sich eine neue Dimension. Trotz der kühlen Temperaturen hatte sie das Fenster heruntergekurbelt – nur wenige schätzten den kräftigen, herben Geruch von kaltem Tabak in einem engen Auto – und zeigte ihm ihr makelloses Profil, ein umwerfender Anblick.
    Die älteste seiner Eroberungen war am Tag ihrer Trennung sechsundzwanzig geworden. Myriam war zwanzig Jahre älter. Auf diesem Gebiet war er so unwissend wie ein Säugling, aber er wusste auch instinktiv, dass nichts einfacher wurde, nichts klarer – besonders nicht in Frauenherzen –, ganz egal wie man es anging.
    Wer keine Erwartungen hegte, wurde nicht enttäuscht. Wer sich nicht von überschwenglichem Optimismus mitreißen ließ, erlebte keine bösen Überraschungen. Wer unbeirrt und geduldig den Berg erklomm, erreichte den Gipfel. Wer seine Kräfte geschickt verbarg, war ein gefährlicher Gegner. Endlich druckte der Automat seinen Parkschein aus. Sich die Frustration einer Frau auszumalen, deren Mann am anderen Ende der Welt als Leutnant kämpft, kann einen Hirnschlag auslösen, dachte er, als er sich neben seine Beifahrerin setzte und sie ihn zerstreut anlächelte. Wer mit leichtem Gepäck reist, kommt ausgeruht ans Ziel. Wer keine falsche Hoffnung nährt, stirbt nicht an Entkräftung.
    Die Nacht bedeckte die Welt um sie wie eine Glocke. Der Parkplatz glich einem Adlerhorst auf einer steilen Bergspitze. »Wie wär’s mit ein bisschen Musik«, meinte sie nach einer Weile. Er nahm seine Brille ab und ließ sie in die Tasche gleiten. »Karen Dalton?«, fragte er.
    Er beugte sich hinüber zum Handschuhfach und warf dabei einen kurzen Blick auf Myriams Schenkel, die in dieser cremefarbenen Seidenstrumpfhose gut zur Geltung kamen. Er konnte sich Myriam ohne weiteres im Badeanzug vorstellen – oder besser noch in Unterwäsche. Sie war knapp über fünfundvierzig. Bestens in Form. Und intellektuell gefestigt. Was gab es da noch zu sagen? Konnte man sich ein perfekteres Geschöpf, eine gefährlichere Begleitung denken?
    Die Vorstellung, dass man das Interesse einer solchen Person erweckte, war alles andere als unangenehm, ja sie steigerte sogar das Selbstwertgefühl, fand er – denn so eine Person hatte ihren eigenen Kopf und ihren eigenen Geschmack und einiges an Lebenserfahrung. Plötzlich sprang ihm ins Auge, wie mittelmäßig seine Beziehungen mit den Studentinnen gewesen waren. Die Sexualität hatte die Welten nicht durchlässiger gemacht. Die meisten dieser jungen Frauen hatten sich als gute Liebhaberinnen erwiesen, sie waren einfallsreich und sehr aktiv, aber es hatte kein wirklicher Austausch stattgefunden, es war keine richtige Verbindung entstanden. Nun wusste er, warum.
    Etwas in ihm hatte sich geöffnet, war in seinem Herzen aufgeblüht – der Übergang vom Kind zum Erwachsenen löste vergleichbare Empfindungen aus –, war langsam gediehen, und aus diesem geheimen Reifeprozess war an diesem Abend ein neuer Mensch hervorgegangen. »Werde ich jemals«, fragte er sich, während er in seinem Player nach dieser herzzerreißenden Stimme suchte, »wieder zu jungen Frauen zurückkehren? Oder werde ich jegliches Interesse an ihnen verlieren?« Als Dozent hoffte er, dass dem nicht so sein würde – allein schon, weil er einen Großteil seiner Zeit mit ihnen zubrachte –, aber das lag nicht in seiner Hand. Solche Dinge ließen sich nicht erzwingen.
    Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Was für eine merkwürdige Situation, finden Sie nicht?«, meinte sie. »Aber das kommt sicherlich von mir. Ich bin völlig erschöpft, weil ich so schlecht schlafe. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.«
    »Ich empfinde es als elektrisierend, wenn Sie mich berühren. Sie nicht?«
    »Nein. Ich weiß nicht.«
    »Neuigkeiten von Ihrem Mann?«
    Sie schüttelte den Kopf. Er griff nach dem Zündschlüssel, aber wieder hielt sie ihn zurück.
    »Ich kann mich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern«, sagte sie mit leerem Blick. »Heute Morgen hatte ich einen Aussetzer. Ich habe ein paar Sekunden gebraucht, bis ich ihn laut

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