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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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holte ihn aus seinen Träumereien. Der Mann – er schob einen zwei Meter breiten Mopp vor sich her und zog einen mit weißlicher Flüssigkeit gefüllten Behälter auf Rollen nach – teilte ihm mit, dass der Laden bald schließen werde und die Leute jetzt nach Hause gehen sollten, ohne Scherereien zu machen.
    Scherereien machen? Nach einem kurzen Moment der Verwunderung bemerkte er, indem er dem Blick des Angestellten folgte, dass er sich eine Zigarette angezündet hatte.
    Jedes Mal, wenn er versucht hatte aufzuhören, war nach dem Rückfall alles nur noch schlimmer geworden, außerdem zog er Marianne mit, und nun schien es, als würden weitere Hemmschwellen fallen. Er sah es kommen. Bald würde man ihn rauchend in einer Kirche, einem Krankenhaus oder in den Gängen eines Sanatoriums antreffen. Wehmütig dachte er an die Zeiten zurück, als man es in Zügen, Flugzeugen, Fahrstühlen tun konnte, ohne immer gleich ans Äußerste zu denken und daran, dass man etwas Schlechtes machte.
    Er entschuldigte sich. Man kannte ihn in diesem Geschäft, weil er einen großen Teil seines Gehalts hier ausgab und nicht klaute oder randalierte, so dass er zur Kasse gehen konnte, ohne dass man ihn direkt auf die Polizeiwache brachte oder erst mal durchprügelte und ihn bis zum nächsten Morgen in eine Zelle sperrte, um ihn Zucht und Ordnung zu lehren.
    Er war einer der letzten Kunden, es war nur noch eine Kasse offen, und die arme Frau gähnte, dass sie sich fast den Kiefer ausrenkte. In der Nachbarschaft schlossen die Verkäuferinnen ihre Boutiquen und liefen los, um in die Nacht auszuschwärmen – wie Soldaten bei einem Einsatz. Er war unschlüssig, ob er den Fahrstuhl nehmen sollte, betrat ihn dann aber doch, denn seine Angst vor einer Panne hatte er fast überwunden, selbst wenn die Kabine in Größe und Aussehen an einen vorsintflutlichen Viehwagen erinnerte und keineswegs vertrauenserweckend wirkte. Den kleinsten Sieg über sich selbst, grübelte er, musste man sich bitter erkämpfen. Aber damit war er nicht allein. Wie vielen Menschen war denn schon ein angenehmes Leben gegönnt, in dem ihnen alles in die Wiege gelegt wurde?
    Der Parkplatz befand sich im obersten Stockwerk, auf dem Flachdach. Der Fahrstuhl blieb auf halbem Weg stecken, er stoppte ruckartig, die Lichter erstarben mit einem Röcheln. Er fühlte sich, als hätte eine Kugel ihm das Herz durchbohrt oder der Blitz ihn getroffen. Seine Knie zitterten einen Moment, sein Atem stockte, sein Mund wurde so trocken, als hätte er Gips gekaut, aber er schöpfte in seinem Innersten die Kraft, um diese Prüfung zu meistern, er packte sein Telefon und benutzte es als Taschenlampe, um die Steuerknöpfe zu finden, insbesondere den Notruf. Er schlug Alarm, aber nichts passierte. Er rief nach Hilfe, ohne Erfolg.
    Er stand vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und atmete tief durch. Dann richtete er sich auf, wandte sich abermals der Schaltfläche zu und bearbeitete sie nach Kräften. Er hatte die Faust noch erhoben und eine Fülle von Flüchen auf den Lippen, als das Licht wieder anging und der Fahrstuhl sich ohne Vorwarnung erneut in Bewegung setzte.
    Er putzte seine Brille und tupfte sich die Stirn ab, während ihn diese verdammte Konservenbüchse, in deren Obhut er sich dummerweise begeben hatte, auf die Terrasse hievte. Trotz des Verbotsschilds zündete er sich eine Winston an.
    Als die Türen aufgingen, lag der Parkplatz im Mondschein, und ein eisiger Lufthauch wehte herein. Um diese Zeit war keine Menschenseele mehr zu sehen, der Ort war wie ausgestorben. Er steuerte seinen Fiat an. Der Himmel war klar und voller Sterne. Er verzog das Gesicht in der kalten Luft.
    Dann ereilte ihn wieder diese Halluzination – zum zweiten Mal an diesem Abend sah er Myriam. Sie kam direkt auf ihn zu.
    »Hallo, ich habe meinen Schlüssel verloren«, sagte sie und wich seinem Blick aus. »Ich habe dummerweise meinen Schlüssel verloren.«
    »Ihren Schlüssel? Oh. Sie sehen völlig durchgefroren aus.«
    »Ich bin durchgefroren. Ich habe auf Sie gewartet. Ich habe Ihr Auto wiedererkannt.«
    »Na, Sie werden es nicht glauben, aber ich saß im Aufzug fest.«
    »Hören Sie, ich dachte, Sie könnten mich vielleicht zu Hause absetzen. Ich dachte: Ich warte auf ihn, fragen kostet nichts.«
    »Klar doch. Steigen Sie ein. Freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein kann. Es soll wieder sehr kalt werden, die ganze Woche über, habe ich gehört. Das Hoch bleibt unbeständig. Ob das ein

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