Die Rastlosen (German Edition)
daran kein Gedanke mehr zu verschwenden, und er fragte sich, was er machen würde, wenn Mariannes Gesundheit wieder derartige Ausgaben erforderte. Die Anzahl ihrer Kreditkarten war deutlich zurückgegangen – Diner’s Club hatte seine eingezogen, und HSBC wollte die Kreditlinie nicht erhöhen, die man ihnen zu Zeiten gewährt hatte, als die Welt noch im Geld schwamm.
Diese Betrachtungen absorbierten und machten ihn ratlos. Aber dann läutete der Lieferant von Matsuri, und er dachte nicht mehr daran – japanisch essen wurde offensichtlich zu einem unerschwinglichen Luxus, beim Bezahlen schüttelte er mürrisch den Kopf.
»Wenn ich zurückkomme, will ich nichts mehr davon sehen, nicht den kleinsten Krümel«, sagte er, als er seinen Anorak wieder anzog. »Versuch nicht, vorher aufzustehen. Halt dich ruhig. Schlag dir nicht noch mal den Kopf ein.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Hör mal, das ist doch Blödsinn, mir geht’s gut…«, seufzte sie, während sie flüchtig und aus den Augenwinkeln den Inhalt der Tüte betrachtete, diese leckeren Häppchen mit Thunfisch (Sorte Thunnus obesus) und Lachs (aus norwegischer Fischzucht), die so appetitlich aussahen und ihr zugleich den Magen umdrehten. Wie auch immer, sie hütete sich, einen Fuß auf den Boden zu setzen, und als er das sah, als er sah, dass sie fügsam wurde, konzentrierte er sich auf seinen Parka und zog mit einem Ruck den Reißverschluss hoch, denn es war Zeit zu gehen, und abends kühlte es schnell ab.
Eine Atemwolke entströmte seinem Mund, als er aus der Tür trat und zu seinem Fiat ging, der im Mondschein zu glitzern begann. Sein Telefon klingelte. »Bring mir unbedingt Zigaretten mit«, sagte sie. »Nicht vergessen, auf keinen Fall.« Er drehte sich zum Haus um. Die Fenster waren hell erleuchtet, aber sie war nicht zu sehen. »Im Moment sehe ich dich lieber essen als rauchen«, antwortete er, während er hinunter in die Stadt fuhr und dabei ausschließlich mit dem Motor bremste.
Zehn Minuten später bog er auf den Parkplatz der Einkaufspassage und ging in die Apotheke, wo er große Vorräte Verbandszeug, Zopiclon und Bion ® 3 mit Ingwer besorgte. Die Läden machten allmählich zu. Die Security-Leute begannen durch die Ladenzeilen zu patrouillieren, begleitet von riesigen Hunden, die wie wilde Bestien wirkten.
Er besah sich gerade eine Anti-Aging-Creme von Biotherm – die Age Fitness Power 2 mit Olivenblättern –, als er Myriam im Brillengeschäft auf der gegenüberliegenden Seite bemerkte. Sie hatte wirklich die Gabe, überraschend auf der Bildfläche zu erscheinen, dachte er. Er hatte sie mehrere Tage nicht gesehen und stellte fest, dass sie ihm ziemlich gefehlt hatte.
Aber ein heftiger Wortwechsel lenkte ihn ab – in der Nähe eines Handyshops wurde ein junger Weißer mit zerzausten Haaren, der sich schon für die Nacht in seinen Schlafsack gelegt hatte, aus dem Einkaufszentrum verwiesen –, und als er ihr nur wenige Sekunden später wieder seine Aufmerksamkeit zuwandte, mit einem Lächeln auf den Lippen und sogar bereit, sich wenn nötig nach dem Befinden des Leutnants zu erkundigen, war sie nicht mehr da. Verschwunden. Nur geträumt?
An Erscheinungen war er nicht wirklich gewöhnt, hatte jedoch lange genug mit den – zermürbenden – Visionen seiner Mutter zu tun gehabt und ließ sich nach all den Jahren von Phänomenen dieser Art nicht mehr aus der Fassung bringen, und mochten sie noch so täuschend echt wirken.
Er erledigte in aller Ruhe seine Einkäufe. Der Supermarkt leerte sich, und es war durchaus nicht unangenehm, durch die ausgestorbenen Reihen zu spazieren, Etiketten zu lesen, Preise zu vergleichen usw. Er ließ sich Zeit, nicht im Geringsten verwirrt durch die Erscheinung von Myriam, kein bisschen verwirrt durch seine Halluzination.
Wichtig waren die Zigaretten. Wichtig war ein Mittel zur Säuberung der Verletzung – die durch den Kontakt der Bodenfliesen der Bibliothek mit der Schläfe seiner Schwester entstanden war und nun eine kleine offene Wunde aufwies, die so dick angeschwollen war wie ein Taubenei. Er musste konzentriert bleiben, durfte sich nicht von seinem Ziel abbringen lassen. Er musste handeln wie ein Formel-1-Fahrer, den eine Sekunde der Achtlosigkeit von der Strecke katapultieren konnte – das Leben als ein Rennen begreifen, die Augen auf die Straße heften, so lautete das Programm, das er sich auferlegte, und diese Herausforderung ließ kaum Platz für Abschweifungen.
Ein Typ von der Reinigungsfirma
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