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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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über dem Papier.
    Er nutzte die Gelegenheit und ging in sein Schlafzimmer. Es war fast Mitternacht. Das Licht aus dem Zimmer fiel auf die Tannen vor dem Fenster, die sich unter den Windstößen bogen, auf die sturmgepeitschten Stromkabel, die malträtierten Rosen, die gebeutelte Hecke, den straffen Windsack in Karpfenform, den er gleich aufgehängt hatte, nachdem ihm irrtümlich eine Internetbestellung zugeschickt worden war und er bestritten hatte, dass er sie bekommen habe – er hatte das Ding ausgepackt, angesehen und begeistert in Besitz genommen.
    Er zündete sich eine letzte Zigarette an und dachte dabei an die erste am nächsten Morgen, auf die er jetzt schon große Lust verspürte. Ein paar Laster konnte man sich ruhig erlauben, fand er, und musste sich nicht dafür schämen. Bei all den Prüfungen, die das Leben bereithielt, hatte man sich das redlich verdient.
    Er stand einige Minuten reglos am Fenster und sah zu, wie der Wind blies, während in seinem Kopfhörer das letzte Drittel von The Purple Bottle ertönte.
    Dann klingelte sein Telefon. Es war ihre Nummer. Myriam. Ein bisschen spät, um über Barbara zu reden, dachte er, aber er versuchte, sich in ihre Lage zu versetzen. Er gab am nächsten Tag keinen Unterricht, musste also nicht früh aufstehen. Er ließ es klingeln. Hielt die Luft an. Sah auf die Uhr. Nach einer Minute und zwanzig Sekunden, kurz bevor seine Lunge explodierte, ging er ran.
    Eine Sache war wirklich erstaunlich, ja sogar verwirrend. Vor ein paar Stunden hatte Richard ihn als Charmeur bezeichnet, nun musste er den Tatsachen ins Auge sehen. Sein Erfolg bei Frauen wurde immer größer. Was für ein Unterschied zwischen der Zeit, als er ein ganzes akademisches Jahr brauchte, um eine Studentin ins Bett zu kriegen, weil er so ungeschickt, zurückhaltend, leicht zu durchschauen war, und heute, da ihn eine Frau nach nur drei zwanglosen Treffen mitten in der Nacht anrief und ins Telefon gurrte.
    Schon oft hatte er vor dem Spiegel gestanden und versucht herauszufinden, was sich an ihm verändert habe, aber der Anblick war alles andere als ermutigend. Die Haare wurden schütter, der Bart an seinem Kinn ergraute, Falten gruben sich in sein Gesicht, die Augen tränten in der Kälte und so weiter, es schien also alles den Bach runterzugehen, aber komischerweise war dem nicht so. Im Gegenteil, alles schien einfacher zu werden. Er war auf diesem Gebiet viel selbstsicherer geworden. Manchmal fühlte er sich fast ungezwungen.
    »Nein, Myriam, Sie stören mich nicht«, hatte er zu ihr gesagt und es sich mit dem Telefon am Ohr auf dem Bett bequem gemacht. Mit einem Kissen im Rücken saß er im Halbdunkel und nutzte die Gelegenheit, um seine Brille zu putzen. Sie hatte eine angenehme Stimme, ziemlich tief. Sie fragte ihn, ob er schon etwas vorhabe, jetzt gleich, in dem Moment, er antwortete: ja. Darauf folgte ein langes Schweigen, nur ihr Atem war zu hören. Schließlich murmelte sie: »Sehr gut. Na dann, schönen Abend.« Und legte auf.
    *
     
    Ab und zu sah er sie aus den Augenwinkeln, hier und da, etwa wenn er über den Campus ging, in der Stadt oder an einem öffentlichen Ort, aber sie hielt Distanz – in einem kleinen Supermarkt hatte sie ihren vollen Einkaufswagen stehenlassen, damit sie sich nicht gemeinsam an der Kasse anstellen mussten, ein andermal war sie sogar aus einem Bus ausgestiegen. Sie warfen sich nur flüchtige Blicke zu. Wenn einer von ihnen ein vages Lächeln andeutete, reagierte der andere nicht, und umgekehrt.
    Er meinte schon, er hätte sich getäuscht, und es wäre nicht so weit her mit seinem sicher geglaubten Sex-Appeal, was ihn in eine Mischung aus Verwirrung und Verzweiflung stürzte.
    Eines Morgens kam Richard Olso in sein Seminar und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Mit einem Satz war er draußen und rannte zum Hauptgebäude, über dem die Europaflagge und das Universitätsemblem flatterten. In der Bibliothek herrschte Aufregung.
    Die Sanitäter waren da. Sie packten ihre Ausrüstung zusammen. Marianne war in eine Decke gewickelt, die an Alufolie erinnerte, und saß totenbleich auf einen Stuhl gekauert. In Ohnmacht gefallen? Na klar. Was denn sonst. Was konnte anderes passieren, wenn man sich von Magerquark 0   % Fett i. Tr. ernährte? Wie sollte man da nicht irgendwann umkippen und sich fast den Hals brechen, weil man von einer Trittleiter stürzte?
    Er drückte sie an seine Schulter. Sie konnte auch nichts dafür, wenn sie nichts anderes runterbrachte. Es hatte

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