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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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über die schmerzliche Tatsache hinwegtrösten müssen, dass sie keine Freunde hatten, dass sie ein bisschen wie Wilde lebten – an einer Straße, gewiss, aber mitten im Wald, der nächste Nachbar war außer Sichtweite, mehr als fünfhundert Meter entfernt, weit weg in einem Meer von Grün – und dass sie von der Gesellschaft nur bedingt akzeptiert wurden – wenigstens waren sie weiß und hatten keinen Akzent, das war ihre Rettung.
    Man hatte ihm Verständnis entgegengebracht, ihm aber nie gänzlich verziehen. Die Frauen blieben Marianne gegenüber auf Distanz, jedenfalls billigten sie das seltsame Gespann nicht, das sie mit ihm bildete, oder fanden die Sache schlicht und einfach krank – wobei die ältesten unter ihnen noch am verständnisvollsten waren, denn ihre Geschichte hatte damals von sich reden gemacht, und die Leute waren von den Malen der Misshandlungen erschüttert gewesen.
    Manchmal schien es, als seien ein paar Gläser Alkohol der einzige Rettungsanker – oder zumindest ein erlösender Streifen Land, den es so schnell wie möglich zu erreichen galt, wenn man nicht zu zweit einen schrecklichen Weihnachtsabend verbringen wollte, der im Zeichen von Magerquark mit 0   % Fett i. Tr. stand.
    Am Tag zuvor hatte es geschneit, und es schien, als sei die Umgebung von einer feinen Puderschicht überzogen. Es war noch nicht spät, die Sonne ging unter und tauchte in einen lumineszierenden, still auf den Flammen brummenden Kessel, während der Weihnachtsmann sich anschickte, auf die Erde hinabzusteigen.
    Er hatte sich noch nicht umgezogen, kein Grund zur Eile, und fragte sich, ob er sich rasieren oder zum Zeitvertreib einen Film anschauen sollte, um geruhsam in den Abend zu kommen.
    Mit Blick aufs Fenster erklärte sie, das Licht sei hypnotisch, und verlangte einen ersten Drink. Es war gerade einmal vier Uhr nachmittags, aber sie bestand darauf, drängte ihn, ihr etwas zu trinken zu geben, damit sie weiterhin mit all der erforderlichen Aufmerksamkeit diese großartige verschneite Landschaft betrachten könne, die eine so wunderbare Ruhe ausstrahle. Er wollte etwas sagen, blieb aber stumm – und überlegte bereits, wie er es anstellen könnte, Marianne nicht allzu spät ins Bett zu bringen, um seine neueste studentische Eroberung sehen zu können.
    Die Aussicht auf ein Treffen mit dieser jungen Frau nahm also den größten Teil seiner Gedanken in Anspruch. Wie jedes Mal, wenn eines dieser Mädchen in sein Leben trat. Was für eine Befreiung das war. Was für eine frische Brise, zumindest am Anfang. Also willigte er ein, mixte zwei Martini-Gin und hoffte, dass sie bei diesem Tempo nicht lang durchhalten würde, so dass er sich aus dem Staub machen konnte, wenn er sie mit einem feuchten Tuch auf der Stirn zu Bett gebracht hätte. Sie stießen an, während eine Kaninchenfamilie über die Straße hoppelte, eins nach dem anderen, im gleißenden Weiß des Gegenlichts. »Sei so nett und bring mir noch einen«, sagte sie, als das letzte Kaninchen im Unterholz verschwunden war.
    Niemand behauptete, das Schicksal habe seine Schwester und ihn geschont, aber er ließ sich nicht von ihr mitziehen, wenn sie sich immer wieder depressiven Schüben überließ, und hielt ihr entgegen, vielmehr könnten sie dem Himmel dafür danken, dass sie am Leben seien und er ihnen eine relativ normale, ja sogar privilegierte Existenz gewährt habe, nach so einem katastrophalen Start.
    Schon zu Beginn des Winters war sie nicht gerade in Hochform gewesen, und bis Weihnachten hatte sich ihr Zustand derart verschlechtert, dass sie sich wie ein Zombie durch die Feiertage schleppen würde – manchmal fand er sie in einer Ecke sitzend, auf dem Boden, mit angezogenen Knien, dann nahm er sie in die Arme, um sie in ihr Zimmer zurückzubringen, mager, wie sie war in ihrem seidenen Pyjama, der ihr schon unter normalen Umständen zu groß war.
    Fairerweise warnte er sie vor den unangenehmen Folgen von Trunkenheit mitten am Nachmittag – immerhin kündigte sich die Dämmerung an, tauchte die Bergkämme in goldenes Licht –, besonders da ein festlicher Abend bevorstand und man so lange wie möglich tapfer durchzuhalten gedachte, damit man nicht allzu jämmerlich wirkte. Die Kaninchen waren gerade außer Sichtweite, da bediente sie sich von neuem und quittierte seine Ratschläge mit einem Schulterzucken. Daraufhin öffnete sich ihr Bademantel einen Spalt und eine nackte Brust kam zum Vorschein, weich und trichterförmig, spitz und verführerisch, die

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