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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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sie nicht gleich wieder verbarg, denn ihre Reaktionszeit hatte schon nachgelassen.
    Er vermied es, ihren Blick zu kreuzen. Er legte ein neues Scheit in den Kamin. Funken sprühten. Sie streckte sich auf dem Sofa aus, gegenüber der Feuerstelle, die bald die einzige Lichtquelle war, denn Ende Dezember brach die Nacht so schnell herein, dass man bisweilen staunte. Er setzte sich auf den Teppich und lehnte sich rücklings ans Sofa. »Der Gedanke, Languste zu essen, erfüllt mich mit Freude«, erklärte er und wurde sich bewusst, dass dieser Satz etwas Rätselhaftes hatte. Sie gluckste. Er war nun überzeugt davon, dass sie über sein Verhältnis mit der Studentin Bescheid wusste – obwohl er stets darauf bedacht gewesen war, im Verborgenen zu handeln, insbesondere vor Marianne – und es sich anmerken ließ – die Gesprächspausen, in denen bittere Vorwürfe und verzweifelte Wut mitschwangen, waren gewiss kein Zufall.
    Auch wenn sie die Zähne zusammenbissen, um nicht zu schreien, konnten sie leider manchmal gewisse kehlige Laute nicht unterdrücken, die dann sehr wohl im Erdgeschoss zu hören waren, ohne dass man besonders die Ohren spitzte. Er war der Erste, der das bedauerte, dem das aufrichtig leidtat. Er hatte immer lieber eine Tracht Prügel kassiert, als zuzusehen, wie Marianne auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Ihre Mutter hatte das ziemlich schnell kapiert – sie packte das arme Mädchen an den Haaren und riss so lange daran, bis er einwilligte, aus seinem Versteck zu kommen und die Strafe auf sich zu nehmen, die ausdrücklich für ihn bestimmt war.
    Er fand, dass sie genug gelitten hatte. Er wollte ihr nicht noch mehr Leid zufügen. Er legte seinen Kopf zurück auf den Oberschenkel seiner Schwester, um mit ihr Kontakt aufzunehmen – jedes noch so kleine Anzeichen von Zuneigung, Anhänglichkeit und Wärme war in diesem Zusammenhang willkommen. Er musste sich ihr gegenüber besonders aufmerksam zeigen. Er zündete eine Zigarette an und reichte sie ihr. Wie konnte er ihr das antun? Was für ein unsägliches Herz schlug in seiner Brust? Wie konnte ausgerechnet er ihr Kummer bereiten und Angst machen?
    Das Feuer vor ihm zischte, und er spürte die Hitze auf seinen Wangen, während draußen eiskalte Luft von den golden schimmernden Höhen fiel und sich in den Tälern über den Lichterketten, den Glocken und den Leuchtdekorationen ausbreitete, die ohne großen Einfallsreichtum in den Straßen angebracht worden waren – und bestimmt auch ohne große finanzielle Mittel, seit radikale Kürzungen die Regel waren. Er spürte Mariannes Hand in seinem Haar. Als Kind hatte er es geliebt, wenn man ihm die Haare schnitt und an seiner Kopfhaut herumzupfte, und nur zu gern überließ er seinen Kopf den Händen seiner Schwester – schon das Kämmen konnte ihn bis in die Zehenspitzen erschauern lassen, das Ziehen eines Scheitels Gänsehaut verursachen, und beim Haarewaschen bekam er mit Sicherheit eine Erektion. Wenn er sich an solche Momente erinnerte, umspielte ein Lächeln seine Lippen – sofern das nicht die Wirkung der Aufputschmittel war. Ihr Vater benutzte die Brillantine Palmolive. Sehr cremig, stark parfümiert.
    Heute, sechs Monate später, konnte er sich kaum noch an jenen Weihnachtsabend erinnern. Er hatte nichts behalten, außer dass ihr bis dato letzter Geschlechtsverkehr an diesem Tag vollzogen worden war. Er wusste nicht, was sie schließlich überwältigt hatte – überwältigt war das richtige Wort –, aber der Kachelboden des Badezimmers war hart und kalt, und der dünne Frotteeteppich, den er sich und ihr hastig unters Gesäß geschoben hatte, war nicht besonders hilfreich gewesen.
    Heute, an diesem lauen Juniabend, waren sie kurz davor, wieder anzufangen. Nur in Unterhosen lagen sie auf seinem Bett, im Halbdunkel, wälzten sich von einer Seite auf die andere, eng umschlungen und zunehmend berauscht von diesem verwirrenden Halbdunkel – als wären sie aneinandergefesselt. Wenn man bedachte, dass er, der einige Minuten vorher noch vollkommen gelähmt dagelegen hatte, zu solchen Spielchen fähig war, konnte man nur staunen.
    Während sie sich fest umklammert hielten, merkte er erst, wie weit er sich in letzter Zeit von ihr entfernt hatte, und er war bestürzt darüber. Wie hatte er das tun können, fragte er sich, wie hatte er seine Pflicht so vernachlässigen können. Wie auch immer, Marianne war mager, hatte aber große Brüste. Er vergrub sein Gesicht zwischen ihnen und saugte dann an ihren Spitzen,

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