Die Ratten im Maeuseberg
Augen
Goldner Schaum der Schnecken
die Brüste im Sand
im goldnen Sand der Schnecken
für die Schönheit der Büste...
Ich gab Dalaruc die Zeilen des
ehemaligen Gentleman-Einbrechers zurück, der am Vorabend des Krieges zum
Doppelmörder geworden war. Dann verabschiedete ich mich und verließ das Hôpital
Sainte-Anne. Die Rue Cabanis kochte in der Hitze.
Für die Schönheit der Büste ... Die Zeilen paßten wie ein
Büstenhalter auf das außergewöhnliche Kunstobjekt, das Anatole Jakowski auf dem
Flohmarkt erstanden hatte.
* * *
Ich verbrachte den Nachmittag
in der kühlen Bibliothèque nationale und schluckte den Staub der
Zeitungen von 1939. Ich erfuhr interessante Dinge über die Heldentaten des
Raoul Castellenot. Zum Beispiel über den Einbruch im Juweliergeschäft Lascève.
Der Tod der beiden Nachtwächter war wohl eher ein Unfall gewesen. Aber sie
waren nun mal tot, und ihre Leichen hatten Castellenors sowieso schon
beachtliches Strafregister noch weiter verlängert. Also: Todesstrafe für den
Gangster. Bei dem Einbruch waren haufenweise Perlen verschwunden. Schon für
damalige Zeiten war die Beute ‘ne Stange Geld wert gewesen. Die Perlen konnten
nie gefunden werden. Auch von Castellenots Freunden war in den Zeitungen die
Rede. Nicht alle waren Kriminelle. Raoul war ein vornehmer Einbrecher gewesen,
eine Art Arsène-Lupin-Ver-chnitt. Sozusagen ein Freund von Literatur und Kunst.
Ich mußte an seine Zeilen denken, in denen man noch Spuren davon finden konnte.
Dann sah ich mir einen Plan vom
unterirdischen Paris an. Das 14. Arrondissement ist ausgehöhlt wie ein
Schweizer Käse. Schließlich verließ ich das prosaische Gebäude in der Rue de
Richelieu. Aus einem Bistro in der Nähe rief ich Monsieur
Grandier von der Internationalen Versicherungsgesellschaft . Er war mal sehr
zufrieden mit meiner Arbeit gewesen. Ich bat ihn, mich mit einem hohen Tier von
der Konkurrenzfirma Mondial-Albatros bekanntzumachen.
„Am besten Loriot“, sagte er.
„Ein Freund von mir. Er kennt Sie. Hab ihm damals von Ihnen erzählt. Hier seine
Nummer...“
Kurz darauf hatte ich den Mann
an der Strippe. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln kam ich zur Sache.
„Haben Sie inzwischen die
Perlen von Lascève wiedergefunden?“
„Nein, leider!“
„Steht die Prämie noch?“
„Ja. Haben Sie eine Spur?“
„Vielleicht.“
„Ich hoffe, bei Ihnen steckt
mehr dahinter als bei dem anonymen Anrufer von neulich.“
„Ein anonymer Anrufer?“
„Ja. Hat uns diesselbe Frage
gestellt wie Sie.“
„Bestimmt haben Sie nicht
persönlich mit ihm gesprochen?“
„Doch. Wissen Sie, für uns
bleibt der Fall wichtig. Wir verfolgen jede Spur.“
„Und der Mann hat nicht seinen
Namen genannt?“
„Nein.“
„Hatte er einen Akzent?“
„Nein. Aber er flüsterte nur.
Ja, er flüsterte.“
„Vielen Dank, Monsieur Loriot.“
* * *
Ich ging zu Anatole Jakowski in die Rue des Mariniers.
„Sie hatten einen verdammt
guten Tag“, begann ich ohne Umschweife, „als Sie diese Büste mit den Schnecken
und Muscheln gekauft haben. Schon mal was von Jeff Hariston gehört? Ein
Staatenloser, der 1939 in Montparnasse wohnte. War mit einem Gangster namens
Castellenot befreundet, steht in den Zeitungen von damals. Jeff Hariston
kleckste ‘n bißchen rum, fertigte aber auch poetische Kunstobjekte an, in der
Art wie Ihr Paradestück.“
„Hab ihn gekannt, diesen Jeff
Hariston. Nur flüchtig, aber...“
„Stammt Ihre Büste vielleicht
aus seiner Sammlung?“
„Möglich ist alles. Er ist
während der Okkupation gestorben. Seine Sammlung war natürlich
,entartete Kunst“ und ist verschwunden. Nur... woher soll ich wissen, ob
meine Büste von ihm stammt?“
„Hat er seine Objekte nicht
signiert?“
„Nein.“
„Na ja, schade. Aber hören Sie
sich an...“
Ich rezitierte:
„Für die Schönheit der Büste
die Zähne der Austern
den goldnen Schleim der
Schnecken
verschlungen verdaut die Brüste
oh, meine Leiche am Strand...
Paßt der Text nicht wunderbar
zu Ihrem guten Stück?“
„Ja, kommt hin. Von wem ist
er?“
„Von einem Verrückten.
Castellenot, ein Gangster, der 1939 Perlen von immensem Wert abgeräumt hat. Die
Beute ist nie wiedergefunden worden. Ich kann mir vorstellen, daß er sie in
einem der Objekte seines Freundes Jeff Haristion versteckt hat. Und die
Erinnerung daran schlägt sich in seinem Gedicht nieder. Die Zeilen, die ich
Ihnen gerade vorgelesen habe, wiederholen sich
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