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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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rausgekriegt?“
    Meinte wohl, Privatdetektive
wie ich übertreiben immer... wie verrückt.
    „Ich heiße nicht Sherlock
Holmes. Verdammt nochmal, ich weiß gar nicht, was ich durch ihn rauskriegen
sollte! Außerdem hätte er wenigstens den Mund aufmachen müssen. Ist er immer so
geschwätzig?“
    „Er redet nur mit seiner
Tochter, wenn sie ihn besucht. Er hat nämlich eine sehr reizende Tochter. Sie
kommt regelmäßig. Ich weiß nicht, ob er sie wiedererkennt, aber er redet mit
ihr. Er muß sie sehr lieben.“
    „Und sie?“
    „Sie vergöttert ihn. Das sieht
man.“
    „Ganoven haben einen
hochentwickelten Familiensinn. Harte Schale, weicher Keks. Lieben ihre alte
Mama über alles.“
    „Aber seine Tochter ist
anständig. Gesellschaftlich gut gestellt.“
    „Will ich gerne glauben. Also,
er redet nur mit seiner Tochter?“
    „Ja. Und er schreibt. Schreibt
viel. Gedichte. Wie alle Kranken. Ich hab vor, irgenwann mal eine Sammlung von
Texten Geistesgestörter zu veröffentlichen. Castellenots Gedichte werden auch
dabei sein. Eine interessante Persönlichkeit. Sie kennen doch seine
Lebensgeschichte?“
    „Nicht so richtig. Nur, daß er
zwei Männer getötet hat. Aber die genauen Umstände kenne ich nicht.“
    Dr. Dalarucs kleine Äuglein
wurden noch kleiner.
    „Ich persönlich könnte Ihnen
gar nicht so furchtbar viel erzählen. Jedenfalls ist er eine interessante
Persönlichkeit. Geboren, um zum Tode verurteilt zu werden. Zivil- und
Militärgericht haben seinen Kopf gefordert. Und er lebt immer noch... wenn man das ,leben “ nennen kann. Aber vielleicht ist er glücklicher
als viele andere? Wollen Sie seine Texte lesen?“
    Der Psychiater war so
freundlich gewesen, sich mit mir hierherzubemühen. Jetzt konnte ich mich
revanchieren und mit ihm die Gedichte des geisteskranken Doppelmörders
bewundern. Während wir in sein Büro gingen, erzählte mir Dalaruc, was er über
seinen Patienten wußte.
    „Geboren, um zum Tode
verurteilt zu werden. Anders kann man’s nicht ausdrücken. 1939, kurz vor dem
Krieg, wegen zweifachen Mordes zum Tode verurteilt. Konnte bei einem Transport
fliehen und entging so der Guillotine. Im Krieg hörte man nichts von ihm. Er
war unauffindbar. Zu Beginn der Okkupation schnappten ihn die Deutschen,
sperrten ihn ein, folterten und verurteilten ihn schließlich... zum Tode.
Warum, weiß ich nicht. Das Urteil wurde wieder nicht vollstreckt, weil er
ausbrechen konnte. Oder besser gesagt: er wurde gekidnappt, von anderen
Deutschen. Er entwischt seinen ,Befreiern’ und
schließt sich der Résistance an. Verstehen Sie mich recht, Burma. Ich will
keinen Heiligen aus ihm machen! Er ist alles, nur das nicht. Ich glaube, er
spielte ein doppeltes Spiel. Gelang ihm auch wohl ‘ne Weile; aber am Ende
ging’s doch schlecht für ihn aus. Die Deutschen kassierten ihn wieder ein. Ab
hinter Gitter, wieder Prügel und...“
    „...wieder zum Tode
verurteilt?“
    „Nein, zur Deportation. Aber
das Glück verläßt ihn nicht. Der Zug mit den Gefangenen wird von
Widerstandskämpfern überfallen. Unser Castellenot kann erneut fliehen.
Danach... tja, da gibt’s ‘ne Lücke in meiner Dokumentation. Ich weiß nur, daß
er im August 1944 in den Katakomben lebte, wo sich das Hauptquartier der
Résistance befand. Verhält sich tadellos in jenen glorreichen Tagen. Aber er
hat einfach zuviel erlebt. Sein Verstand verwirrt sich. Und die Polizei hat
nicht vergessen, daß er zum Tode verurteilt wurde. Er wird festgenommen. Aber
es ist offensichtlich: Castellenot ist verrückt, unheilbar verrückt. Und seit
zehn Jahren ist er bei uns. Ein richtiger Roman, nicht wahr?“
    „Kann man wohl sagen“, stimmte
ich zu. „Und findet man in seinen Texten Spuren seines abenteuerlichen Lebens?“
    „Nein. Er schreibt
hauptsächlich über Frauenbrüste...“
    „Vielleicht ein Brustkomplex“,
diagnostizierte ich lächelnd.
    Der Arzt sah mich schräg von
der Seite an.
    „Versuchen Sie sich bitte nicht
an unserem Vokabular, Burma. Wir kommen schon selbst kaum damit zurecht.“
    In seinem Arbeitszimmer nahm er
ein paar Blätter aus einem Ordner und reichte sie mir. Ich las:
     
    Für die Schönheit der Büste
    die Zähne der Austern
    den goldnen Schleim der
Schnecken
    verschlungen verdaut die Brüste
    oh, meine Leiche am Strand ...
     
    Etwa fünfzig Zeilen in der Art,
häufig diesselben stereotypen Sätze:
     
    Für die Schönheit der Büste
    mit Perlen auf den Brüsten
    meine Frau, meine Büste
    meine Perlen in den

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