Die Rebellen von Irland
bestrafen. Wir werden für die Rebellion von 1641 Vergeltung üben, das verspreche ich Ihnen.«
»Das war schrecklich«, pflichtete Pincher ihm bei und fügte mit einem gewissen Stolz hinzu: »Ich habe in der Christ-Church-Kathedrale zu den Überlebenden gepredigt.«
Doch Barnaby hörte kaum hin.
»Ich bin über alles im Bilde, Onkel«, bekräftigte er und fuhr wie auswendig gelernt fort: »Das ganze irische Volk begehrte auf, fiel über die Protestanten her, Männer, Frauen und Kinder, und metzelte sie nieder. Die irische Grausamkeit war grenzenlos. Dreihunderttausend unschuldige Protestanten starben. Das ist beispiellos in der gesamten Geschichte der Menschheit.«
Doktor Pincher starrte ihn an. Die genaue Zahl der Toten bei dem Aufstand von 1641 war nicht bekannt. Er nahm an, dass, als alles vorüber war, in ganz Irland etwa fünftausend Protestanten ihr Leben verloren hatten, aber es konnten durchaus auch weniger gewesen sein. Weitere ein- oder zweitausend Katholiken waren den Vergeltungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Seit damals war die Zahl natürlich immer wieder übertrieben worden, aber Barnabys Behauptung war doch erstaunlich. Pincher war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt so viele Protestanten auf der Insel gab.
»Wie viele?«
»Dreihunderttausend«, antwortete Barnaby bestimmt.
Pincher verachtete die Iren und hasste die Katholiken, aber er war kein unehrlicher Mann.
»Diese Zahl«, so wagte er einzuwenden, »scheint mir etwas hoch gegriffen.«
»Nein«, erwiderte Barnaby, »ich versichere Ihnen, sie stimmt. Die ganze Armee weiß es.«
Da erst begriff Simeon Pincher. Die Armee des Oliver Cromwell, die an der Notwendigkeit, Katholiken zu bekehren, gezweifelt hatte, war durch diese Erinnerung an die Gräueltaten, die es zu rächen galt, moralisch gestärkt worden. Er seufzte. Vermutlich musste man jeder Armee irgendeine Geschichte erzählen. Mal war die Geschichte wahr, mal nicht. Und diese Geschichte würde bestimmt ihren notwendigen Zweck erfüllen.
DROGHEDA
* 1649 *
Walter Smith ritt langsam um das große Hügelgrab herum. Es war ein ungemütlicher Tag Anfang September, und der kräftige Wind drohte zu einem Sturm anzuschwellen. Entlang der niedrigen Hügelkette lagen die riesigen, grasbedeckten Gräber unter dem bewölkten Himmel. Die verstreuten Splitter weißen Quarzes zu Walters Füßen nahmen die trübe Farbe des Tages an, genau wie die vielen verblichenen Knochen. Im Tal kräuselten Böen zornig das schiefergraue Wasser des Flusses Boyne.
Wie es hieß, lebten die Tuatha De Danaan, die sagenhaften Bewohner der Insel, noch und tafelten in hellen Sälen unter den magischen Hügeln. Vielleicht lag es am Wetter, aber diese alte heilige Stätte erschien Walter abweisend und irgendwie bedrohlich. Er ritt weiter nach Osten.
Ein Monat war vergangen, seit er Rathconan verlassen hatte. Warum war er so plötzlich fortgegangen? Vielleicht weil es in seiner Natur lag, dass er das, was er einmal angefangen hatte, auch zu Ende bringen musste. Da er sich dem Kämpfen verschrieben hatte, musste er den Kampf suchen. Er hatte Ormond und die Reste der königstreuen Armee gefunden und drei Wochen in ihrem Lager verbracht. In dieser Zeit war seine Wunde fast verheilt, allerdings hatte er noch Schmerzen im Bein und hinkte leicht.
Nach Cromwells Ankunft in Dublin hatten sich seine Maßnahmen schnell herumgesprochen. Er hatte die besten Soldaten der Garnison ausgewählt und seiner Armee einverleibt. Cromwell forderte eiserne Disziplin. Seine Soldaten waren in der Stadt einquartiert, aber es war ihnen streng verboten, den Einwohnern Unannehmlichkeiten zu bereiten. Plündern wurde augenblicklich mit dem Tod bestraft. Er hatte sogar darauf bestanden, dass alle Verpflegungslieferungen aus dem Umland, gleich ob von protestantischen oder katholischen Bauern, korrekt bezahlt wurden. Das war nicht nur beispiellos, sondern auch sehr klug. Jedenfalls hatte sich bislang keine Hand gegen ihn oder seine Männer erhoben.
Vermutlich, so dachte Walter, erhielt Orlando für sein Getreide den vollen Preis. Mehr als einmal hatte er den Wunsch verspürt, das Gut in Fingal zu besuchen, aber er wusste, dass das unmöglich war. Selbst wenn er der Verhaftung entginge, würde er nur Ärger verursachen. Er musste dem Gut fernbleiben, bis diese Sache vorüber war.
Bald darauf brachte ein Reiter genauere Kunde.
»Cromwell rüstet zum Marsch nach Norden.« Das erschien durchaus klug. Wenn es ihm gelang, die von den Royalisten
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