Die Rebellen von Irland
und Straßen innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern und die Wahrzeichen wie Christ Church oder das alte Stadthaus Tholsel waren noch die alten geblieben. Doch sobald man über die Mauern hinausblickte, war der Wandel verblüffend.
Der Fluss Liffey wurde jetzt nicht nur von mehreren Steinbrücken überspannt, sondern war auch merklich schmaler geworden. Die Marschen waren erschlossen, die Wassermassen des Flusses in Mauern gezwängt. Stromaufwärts am Nordufer hatte der Herzog von Ormond das Wasser noch weiter zurückgedrängt, indem er die beiden Uferstraßen Ormond und Arran Quay anlegen ließ, mit Reihen von Lagerhäusern und Gebäuden, die jeder europäischen Stadt zur Ehre gereicht hätten. Außerhalb der östlichen Stadtmauer wurde der ehemalige Anger St. Stephens Green nun von schönen neuen Häusern umrahmt, und Verbindungsstraßen führten hinunter zum Trinity College. Der Bach, dessen Lauf sich vom Anger zum Hoggen Green und zum Long Stone der Wikinger geschlängelt hatte, verschwand nun unter einer dieser Straßen, der angenehmen Grafton Street. Im Westen der Stadt, in Kilmainham, keine Meile von Christ Church entfernt, war nach dem Vorbild des imposanten klassizistischen Invalidendoms in Paris das riesige Royal Hospital gebaut worden. Und gegenüber, am Nordufer des Flusses, erhob sich das Tor zum Phoenix Park, einem weitläufigen Areal, das Ormond gestaltet und mit Rotwild bestückt hatte. Der Phoenix Park war prächtiger als alles, was London zu bieten hatte.
Doch wahrhaft eindrucksvoll waren die neuen Häuser.
Den Briten mochte es an künstlerischer Originalität mangeln, doch in der Adaption fremder Ideen bewiesen sie häufig Genialität. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hatten sie in London, Edinburgh und nun auch in Dublin eine neue Methode des Städtebaus vervollkommnet. Die Baumeister hatten festgestellt, dass sie unter Verwendung vereinfachter klassizistischer Elemente und auf eine Weise, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch angenehm fürs Auge war, ein und dasselbe Backsteinhaus endlos zu Straßenzügen oder Plätzen reihen konnten. Elegante Treppen führten zu schönen Türen mit fächerförmigen Oberlichtern empor. Fensterläden wurden im kühlen nördlichen Klima nicht gebraucht, daher störte nichts die Strenge der Backsteinfassade. Schmucklose, rechteckige Schiebefenster starrten leer in den nördlichen Himmel wie die Schatten römischer Senatoren. Allenfalls fand sich über dem Eingang noch ein bescheidener klassischer Ziergiebel, anstandshalber, um dem Eindruck eines Gentlemans vorzubeugen, der ohne Hut aus dem Haus ging. Doch jede andere Form von schmückendem Beiwerk wurde vermieden. Nüchtern und aristokratisch im Stil, jedoch gemütlich, da nicht zu groß, stellte es den Lord und den Kaufmann gleichermaßen zufrieden. Es war ohne Zweifel die erfolgreichste Reihenhausbauweise, die jemals erfunden wurde. Sie sollte später den Weg über den Atlantik in Städte wie Boston, Philadelphia und New York finden und unter dem Namen »georgianischer Stil« bekannt werden.
Vor allem rund um St. Stephen’s Green und Trinity College sowie hinter den Kais nördlich des Liffey prägten diese klassizistischen Straßenzüge und Plätze das Stadtbild. Während der Wohlstand Dublins und mit ihm die Zahl der Einwohner stieg, hatte Walsh das Gefühl, dass jedes Jahr eine neue Straße entstand. Bald war Dublin nach London die schönste Hauptstadt im europäischen Norden.
»Was stimmt denn mit dem jungen Smith nicht?«, fragte Fortunatus, als sie an der Ecke des Green anlangten.
»Er ist Katholik.«
»Das bin ich auch.«
»Er hegt einen tiefen Groll.«
»Ach so«, seufzte Fortunatus. »Er hatte nicht so viel Glück wie wir.«
Im Nachhinein konnte er über den Weitblick ihres Vaters nur staunen. Der niederländische König Wilhelm IV von Oranien hatte den irischen Katholiken Toleranz versprochen, aber seine Parlamente, insbesondere das irische, hatten ganz andere Vorstellungen. Immerhin hatte sich das englische Parlament die Mühe gemacht, Jakob II. abzusetzen, nur um England vor dem Katholizismus zu bewahren. Doch Jakob war nach wie vor auf freiem Fuß und hatte einen Sohn. Zudem wurde er von seinem kriegslustigen katholischen Cousin, König Ludwig XIV von Frankreich, unterstützt, und Irland galt seit jeher als ideale Ausgangsbasis für Angriffe auf England. Daher musste die Insel im Westen mit Garnisonen belegt werden und unter der strengen Kontrolle englischer Administratoren und
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