Die Rebellen von Irland
Generationen waren das? Sechs oder sieben, vermutete er. Aber die Familien hatten stets engen Kontakt gepflegt. »Unsere Doyle-Cousins waren ungewöhnlich gut zu mir und zu deinem Großvater«, hatte Donatus immer zu ihm gesagt.
Wenn die Walshs sich gegenüber Verwandten, die in Schwierigkeiten steckten, so verwiesen sie doch auch darauf, dass sie die Wohltaten, die sie selbst empfangen hatten, nicht vergaßen. Und Barbara Doyle war nicht nur die Witwe eines dieser Verwandten, sondern selbst eine geborene Doyle. »Cousine Barbara«, wie die ganze Familie sie nannte. Als ihr Mann völlig unerwartet gestorben war und sie mit einem kleinen Sohn zurückgelassen hatte, waren die Walshs sofort zur Stelle gewesen, um ihr zu helfen. Allerdings konnte sich Fortunatus kaum einen Menschen vorstellen, der weniger auf Hilfe angewiesen war.
Ihr Mann hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, und sie hatte es gemehrt. Jedes Jahr, wenn irgendwo in Dublin ein neuer Straßenzug aus dem Boden schoss, konnte man sicher sein, dass Barbara Doyle eines der Häuser gehörte. Tatsächlich gehörte ihr auch das Haus, in dem sie sich jetzt befanden, denn Fortunatus Walsh hatte es von ihr gemietet. Nervös fragte er sich nach dem Grund ihres Kommens.
Hastig drängte er sie zu seinem besten Sessel – damit sie es bequem hatte, natürlich, aber auch weil sie nicht ganz so Furcht einflößend wirkte, wenn sie saß. Selbst ihrem kleinen Sohn John, den sie aus unerfindlichen Gründen mitgebracht hatte, bot er einen seidenbezogenen Schemel an.
Doch auch wenn sie reicher war als er, so blieb sie doch die Witwe eines Kaufmanns, wohingegen die Walshs seit undenklichen Zeiten der Grund besitzenden Gentry angehörten. Warum also hatte er vor ihr Angst?
Vielleicht lag es an ihrer physischen Erscheinung. Sie war groß, wohlbeleibt und von kräftiger Statur. Nach der noch herrschenden Mode der Restaurationszeit trug sie ein geschnürtes Kleid, aus dem mit Macht ihr Busen hervordrängte. Sie hatte dichtes schwarzes Haar, ein rundes Gesicht und rotfleckige Wangen. Doch es waren ihre braunen, kalt blickenden Basiliskenaugen, die ihn stets aus der Fassung brachten. Manchmal, wenn sie ihn so streitlustig anfunkelte wie jetzt, geriet er sogar ins Stottern.
»Nun, Cousine Barbara«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln, »was kann ich für Sie tun?«
»Jetzt, da Sie dem Parlament angehören«, antwortete sie bestimmt, »eine Menge.«
Das Herz rutschte ihm in die Hose.
Nach seinem Einzug ins Parlament hatte Fortunatus, der sonst sparsam mit seinem Geld umging, beschlossen, stilvoll zu wohnen und ein großes Haus am vornehmen St. Stephens Green zu beziehen, und so entrichtete er Mrs Doyle jährlich die stolze Summe von einhundert Pfund, was er sich gerade noch leisten konnte.
Barbara warf Fortunatus einen bösen Blick zu. »Es wird Zeit«, sagte sie, »dass Irland den Engländern die Stirn bietet.«
Die herrschende protestantische Oberschicht der Anglo-Iren, die Ascendancy, wie sie genannt wurde, fühlte sich von London stiefmütterlich behandelt. Warum wurden die bestbesoldeten Regierungsposten ohne Amtsgeschäfte und die einträglichsten Pfründe für Geistliche – die allseits begehrten staatlichen Privilegien – an Männer vergeben, die von England herübergeschickt wurden? Warum blieben den Iren immer nur die mittelmäßigen Posten? Und wenn die unterdrückten katholischen Bauern die abwesenden Grundbesitzer und ihre habgierigen Mittelsmänner hassten, so hasste die Ascendancy diese Leute beinahe ebenso. Die Pachtzinsen, so klagten sie, die an Gutsherren fließen, die nicht im Lande leben, werden dem Reichtum Irlands entzogen. In Wahrheit waren die abfließenden Summen nicht hoch genug, um ernsthaften Schaden anzurichten, aber Barbara Doyle und Fortunatus Walsh waren wie viele andere vom Gegenteil überzeugt.
Die schlimmste Beleidigung freilich war erst in diesem Jahr gefolgt.
»Und was gedenken Sie«, fragte Barbara Doyle, »gegen diese verfluchten Kupfermünzen zu unternehmen?«
In allen Ländern und politischen Systemen war es seit jeher ein Vorrecht der Herrscher, ihre Mätressen zu versorgen. Auch König Georg I. von England bildete da selbstverständlich keine Ausnahme. Er war auf die glorreiche Idee verfallen, seiner Geliebten, der Gräfin von Kendal, das Privileg zu verleihen, Halfpennies und Farthings oder Viertelpennies für Irland zu prägen. Das Geschenk einer solchen Lizenz an eine charmante königliche Freundin war etwas so Normales,
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