Die Rebellen von Irland
dieser Mann sie auf Dauer nicht glücklich machen würde. Walter schon. Sanft aber eindrücklich versuchte er, sie davon zu überzeugen. »Manchmal ist es klüger, auf den Verstand zu hören als auf das Herz«, beschwor er sie. Aber sie hörte ihm gar nicht richtig zu. »Triff Walter doch wenigstens einmal und lerne ihn richtig kennen«, schlug er vor. Aber sie wollte nur ihre große Liebe Patrick sehen. Der arme Martin Walsh, der sich verzweifelt wünschte, seine Frau wäre noch am Leben, wusste nicht, ob er dies erlauben sollte. So verstrich eine Woche voller aufgeregter Diskussionen. Anne schlich traurig im Haus herum, dunkle Ränder unter den Augen. Ihr Vater fragte sich, ob es besser wäre, sie ins Seminar zurückzuschicken. Vielleicht sollte er auch einfach Walter Smith zu einem Besuch einladen, damit Anne sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, was für ein guter Mann er war. Aber er hatte Angst, sie könnte ihn so heftig abweisen, dass der junge Mann das Interesse an ihr verlieren würde. Sollte er sich doch mit Patrick zufrieden geben? Sicher wäre es ein Fehler, aber es schmerzte ihn tief, seine Tochter so leiden zu sehen. In der zweiten Woche wurde sie so bleich und teilnahmslos, dass er mit dem Gedanken spielte, einen Arzt hinzuzuziehen.
Dann traf Lawrence ein.
Er war unverzüglich aus Frankreich aufgebrochen, und Martin freute sich zu seiner eigenen Überraschung über sein Kommen. Lawrence sagte zwar, er hoffe, seine Schwester sei gründlich gezüchtigt worden, aber als er sah, wie sehr diese Bemerkung seinen Vater schockierte, ließ er das Thema ruhen. Und danach erwies sich seine Gegenwart wirklich als ein Segen.
Lawrence sagte nur wenig und blieb ganz ruhig. Seine Schwester behandelte er sehr freundlich. Er machte ihr keine Vorwürfe, sondern bat nur darum, dass sie jeden Tag mit ihm betete. Er behielt den jungen Orlando freundschaftlich im Auge, nahm ihn auf ein paar lange Spaziergänge mit und ging sogar einmal mit ihm zusammen auf Kaninchenjagd.
* **
Orlando war ungeheuer erleichtert, als Anne vor der Tür stand. Wenige Stunden nach ihrer Ankunft zog sie sich mit ihm zurück, und er erzählte ihr alles, was er über Walter Smith wusste.
»Ich habe nichts von euren Treffen erzählt«, versicherte er.
»Ich weiß. Ich werde niemandem sagen, dass du uns geholfen hast. Aber was Patrick angeht«, sagte sie kopfschüttelnd, »hilft mir das jetzt wahrscheinlich auch nichts mehr.«
Obwohl Orlando alles über ihre Gespräche mit Martin Walsh wusste und ihre Tränen sah, erfuhr er in den nächsten Tagen keine weiteren Einzelheiten von seiner Schwester. Offenbar wollte sie nicht mit ihm darüber reden. Eines Nachmittags bat sie ihn jedoch zu sich und sagte leise: »Du könntest mir helfen, kleiner Bruder.«
Am nächsten Morgen ritt er allein aus. Er hatte an diesem Tag keinen Unterricht, und sein Vater hatte andere Dinge im Kopf und achtete kaum auf ihn. Er ritt auf seinem Pony über die Ebene der Vogelscharen, und am späten Vormittag lag die Stadt bereits in Sichtweite. Er überquerte die alte Brücke über den Liffey, ritt durch das Stadttor und suchte das Haus der Smiths in der Winetavern Street. Am Eingang zum Hinterhof fand er einen jungen Bediensteten und fragte ihn, ob Patrick Smith im Haus sei. Als der Junge bejahte, bat er ihn, auszurichten, dass ein Freund draußen auf ihn warte. Wenige Minuten später erschien der junge Mann selbst.
Als Orlando ihn erblickte, hätte er beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen. Patrick Smith sah genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte: kräftig und voller Zuversicht. Er lächelte und in seinen Augen stand Freude darüber, Orlando wiederzusehen.
»Orlando, du weißt es wahrscheinlich bereits. Nicht ich, sondern mein Bruder wird sich bald mit deiner Schwester verloben«, sagte er sanft.
»Anne ist zurückgekommen. Sie ist zu Hause.«
»Sie ist hier?«, rief Patrick erstaunt aus. »Komm, lass uns den Quai hinabgehen. Du musst mir alles erzählen.«
Orlando erzählte von den Tränen seiner Schwester und dem Streit mit ihrem Vater.
»Sie will dich heiraten«, platzte es aus ihm heraus. Es war schwer zu sagen, ob diese Neuigkeit Patrick mehr erfreute oder erschütterte. »Sie will dich sehen, aber mein Vater verbietet es. Du musst dich heimlich mit ihr treffen.«
»Das geht nicht so leicht, Orlando. Mein Vater hat mir strengstens verboten, deine Schwester zu treffen.«
Orlando starrte ihn fassungslos an.
»Aber du kommst doch trotzdem?«
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