Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
hinunter. Eine halbe Stunde stand sie nun schon da. Der feuchte Frühlingswind bedeckte ihre Stirn mit winzigen Tröpfchen, doch sie bewegte sich nicht.
    Sie wusste, er würde kommen.
    Natürlich kursierten Gerüchte, die rasch auch in die Hochtäler um Rathconan vorgedrungen waren und denen zufolge er über kurz oder lang kommen würde. Doch nicht das machte sie so sicher. Sie spürte es, ohne dass sie hätte erklären können warum, mit einem Instinkt, dem sie gelernt hatte zu vertrauen.
    Sie fürchtete ihn mehr als den Teufel persönlich: Patrick Walsh.
    Aus gutem Grund. Er hatte ihr die Tochter weggenommen und sie auf schändliche Weise benutzt. Und jetzt fürchtete Deirdre etwas noch Schlimmeres: dass er ihr auch noch den Mann wegnehmen würde. Er würde ihr Conall wegnehmen, und – auch das spürte sie instinktiv – sie würde Conall nie wiedersehen.
    Es hatte für sie nie einen anderen Mann als Conall gegeben. Ihr war, als gehörten sie zusammen wie zwei Felsen in den Bergen, die seit Anbeginn der Zeiten nebeneinander standen und bis zum Ende der Zeiten nebeneinander stehen würden. Conall hatte ihr schon als Kind alles bedeutet. Als man ihn fortgeschickt hatte, hatte sie gemeint, sterben zu müssen. Zehn Jahre lang hatte sie in einer Art Wüste gelebt.
    Ihr Leben war ruhig und ereignislos verlaufen. Wer von Rathconan zur Küste hinunterstieg, kam zu einem Weg, auf dem die Postkutsche zwischen Dublin und Wicklow verkehrte. Mit ihr gelangte man in wenigen Stunden in die Hauptstadt. Wer dagegen den steilen Weg in die Berge um Rathconan und Glendalough hinaufstieg, geriet in eine weltabgeschiedene Gegend, in der die Zeit stillstand und sich nie etwas zu ändern schien. Deirdres Großvater, O’Toole, unterrichtete weiter in der Hedge School und alterte unmerklich. Von Conall sprach er nie, vielleicht, weil er Deirdre nicht wehtun wollte. Auch sonst sprach in Rathconan niemand von ihm – jedenfalls nicht in Deirdres Gegenwart. Budge hatte klar gemacht, dass er eine Rückkehr Conalls nicht wünschte, und da Conalls Vater Garret Smith vor lauter Trübsinn immer mehr im Alkohol versank, stieß Budge mit seinem Verbot in Rathconan nicht nur auf Ablehnung.
    Nur einmal jedes Jahr, im Frühling, ging eine Veränderung mit Garret vor. Er hörte zu trinken auf, sprach wieder in verständlichen Sätzen und zog saubere Kleider an. Dann wanderte er zur Straße von Wicklow hinunter und bestieg die Postkutsche nach Dublin, um Conall zu besuchen. Manchmal begleitete Deirdres Großvater ihn die ersten Meilen des Weges, manchmal konnte er auch auf einem Fuhrwerk von Budge mitfahren. Der Herr von Rathconan schien keine Einwände gegen diese jährlichen Besuche zu haben. Er hatte seinen Willen längst durchgesetzt. Außerdem hatte Budge eine junge Dame aus Kildare geheiratet und war mit anderen Dingen beschäftigt.
    Bei seiner Rückkehr fragte Deirdre Garret jedes Mal nach Conall, und Garret erzählte ihr das Neueste von ihm und wie er gewachsen war. Nach drei Jahren erfuhr sie, dass er die Schule verlassen würde, um bei einem Schreiner in die Lehre zu gehen. Deirdre war überrascht, aber sein Vater schien sehr zufrieden. Conall würde in Dublin bleiben. »Dort hat er es besser«, sagte er.
    »Spricht er von mir?«, wagte sie einmal zu fragen.
    Garret nickte. »Er erinnert sich noch gut an dich.« Es war schwer einzuschätzen, was das bedeutete. Einige Zeit später hörte sie, der Schreiner sei von Conalls Fähigkeiten sehr angetan gewesen und habe ihn zur Fortsetzung der Lehre zu seinem Bruder geschickt, einem Möbeltischler. »Ich glaube, er wird ein guter Tischler werden«, sagte Garret zu Deirdre.
    Bei seinem nächsten Besuch kam es zu einem Zwischenfall. Garret hatte das ganze Jahr über kränklich gewirkt. An einigen Tagen war sein Gesicht unnatürlich gerötet gewesen, an anderen hatte Deirdre ihn bei ihren Besuchen aschgrau im Gesicht und mit zitternden Händen vorgefunden. Seine Vorbereitungen für die Reise nach Dublin waren diesmal weniger sorgfältig gewesen. Er hatte zwar saubere Kleider angezogen, mit dem Trinken aber erst ein, zwei Tage vorher aufgehört. Beim Rasieren hatte er sich mehrmals geschnitten. Der Fuhrmann hatte ihn zur Wicklower Straße hinuntergebracht, doch Deirdres Großvater hatte den Kopf geschüttelt und gemeint, er glaube nicht, dass Garret die Reise durchstehen werde.
    Fünf Tage später war Garret auf dem Fuhrwerk eines Försters zurückgekehrt. Seine Kleider waren mit Staub und Sägespänen

Weitere Kostenlose Bücher