Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Kladde eintrug. Während sie die Ärmel aufkrempelte, um dem Inspektor ihre Hände zu zeigen, versperrte der Emily den Weg.
    »Bist du taub?«, sagte er. »Wir haben genug!«
    Er stieß sie mit der Faust so fest gegen die Schulter, dass sie fast zu Boden fiel. Sie tauschte noch einen Blick mit Annie, dann wandte sie sich mit den anderen abgewiesenen Frauen zur Tür.
    Was sollte nun werden? Sie hatte alle Zeitungen nach Stellenangeboten durchsucht, doch nichts gefunden, das zu ihr passte. Sie hatte fest darauf vertraut, dass die Hotels und Restaurants der Stadt Arbeitskräfte brauchten, um dem Ansturm der auswärtigen Besucher Herr zu werden. Doch die Geschäfte hatten sich nicht wie erhofft entwickelt, die Hotels blieben genauso leer wie der Kristallpalast und die Souvenirläden in der City, und die Köche standen ohne Beschäftigung in den Restaurantküchen herum. Auf einmal erschien Emily die Zukunft wie ein schwarzes, dunkles Loch. Bis das Schiff nach Amerika auslief, dauerte es noch vier Monate, und sie hatte keine Ahnung, wovon sie in der Zwischenzeit auch nur ihr Essen bezahlen sollte, ohne das bisschen Geld anzurühren, das sie für die Überfahrt brauchte. Während sie durch das Fenster sah, wie sich draußen ein Mühlenflügel über die rote Backsteinmauer erhob, musste sie an die frisch gepulten Krabben denken, die sie in dieser Jahreszeit so gerne aß, am liebsten mit einem Glas französischen Weißwein. Auf was hatte sie sich nur eingelassen? Die Griebenschmalzbrote mit Apfelkraut, die sie täglich in sich stopfte, um Geld zu sparen, hingen ihr jetzt schon zum Hals raus.
    »He, du da! Warte!«
    Emily drehte sich um. Der Inspektor zeigte mit dem Finger auf sie.
    »Deine Freundin hat gesagt, dass du als Hausmädchen Weben gelernt hast. Stimmt das?«
    Emily sah, wie Annie ihr hinter dem Inspektor Zeichen machte, und begriff.
    »Ja«, schwindelte sie, »oben in Derby, meine letzte Stelle.«
    »Dann komm her.«
    Wie die anderen Frauen musste sie die Ärmel hochkrempeln, damit der Inspektor ihre Hände untersuchen konnte.
    »Du hast Glück gehabt«, sagte er. »Eine Frau vor dir hat versucht, uns zu betrügen. Ihr fehlten zwei Finger, aber wir haben sie erwischt. – In Ordnung«, sagte er dann. »Weiter!«
    Emily trat an den Schalter, wo der Schreiber ihr seine Kladde zuschob.
    »Kannst du lesen?«
    Emily überflog den kurzen Text, der über den Namen der Angestellten und den Daten ihres Arbeitsbeginns stand:
Die Unterzeichneten unterwerfen sich bei ihrem Eintritt in die Baumwollspinnerei und Weberei Hopkins der Fabrikordnung, welche in den Arbeitssälen angeschlagen ist.
    Der Schreiber reichte Emily einen Stift und tippte mit dem Finger auf eine leere Zeile.
    »Hier unterschreiben!«

14
     
    Henry Cole zeigte auf die Illustration, die fast die halbe Titelseite des
Northern Star
einnahm. Darauf war eine halb entblößte Arbeiterin abgebildet, die sich in einem Baumwolllager einem uniformierten Webereiinspektor hingab.
    »Ich würde gerne wissen, von wem dieses Bild stammt.«
    »Tut mir Leid«, erwiderte Mr. Harper hinter dem Schalter des Redaktionsbüros, »aber das darf ich Ihnen nicht sagen. Wir können derartige Auskünfte nur mit Einwilligung der betreffendenMitarbeiter geben.« Er rückte die grüne Schirmmütze auf seinem Kopf zurecht und schaute misstrauisch zu Cole auf.
    »Weshalb fragen Sie? Sind Sie etwa von der Polizei?«
    »Keineswegs, im Gegenteil«, versicherte Cole. »Ich bin ein Bewunderer Ihrer neuen Serie und verfolge sie mit großer Aufmerksamkeit. Wurde höchste Zeit, dass solche Bilder gezeigt werden. Ich … ich bin so begeistert, dass ich sie gerne ausstellen würde.«
    »Ach so, Sie sind Galerist?« Die Miene des Redakteurs entspannte sich. »Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Karte hier lassen, ich leite sie gern weiter. Die junge Dame wird sich dann sicher mit Ihnen in Verbindung setzen.«
    »Oh? Die Bilder stammen von einer Frau?«
    »Erstaunlich, nicht wahr? Schließlich muss man sich in die übelsten Gegenden von London wagen, um solche Motive zu finden. Dabei ist die Künstlerin aus sehr gutem Hause, eine richtige Lady, und außerdem noch ganz jung, kaum älter als das Mädchen auf dem Bild.«
    Cole hatte keinen Zweifel mehr – er hatte Emilys Spur gefunden. Sie und niemand sonst war die Urheberin der Illustrationen, mit denen das Chartistenblatt inzwischen täglich auf der Titelseite die Verhältnisse in den Armenvierteln der Metropole anprangerte: Bilder von Rattenkämpfen in

Weitere Kostenlose Bücher