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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Das Urinieren tat höllisch weh, jeder Tropfen brannte wie Feuer, und die Hoffnung, dass es sich um eine einfache Blasenentzündung handelte, versiegte zusammen mit dem spärlichen Rinnsal, das in das Pissoir tröpfelte.
    »Kein Problem, das lässt sich bestimmt einrichten.« Fast unverrichteter Dinge knöpfte Paxton sich die Hose wieder zu. »Und sonst?«, fragte er. »Keine schlechten Nachrichten?«
    Als er an das Waschbecken trat, sah er an Coles Miene, dass er mit seiner Frage ins Schwarze getroffen hatte.
    »Was ist mit Emily?«
    Cole trat verlegen von einem Bein auf das andere. Dann räusperte er sich und sagte: »Ich … ich war in der Redaktion, Sir, wie Sie gewünscht hatten.«
    »Ja und? Los, Mann, reden Sie schon! Heraus mit der Sprache!« Paxton blickte Cole ängstlich an. Doch der schlug die Augen nieder. »Nichts, Sir«, sagte Cole. »Die Bilder stammen von einem ehemaligen Zeichenlehrer, der dem Alkohol verfallen ist und sich damit seinen Schnaps finanziert.« Er hob den Kopf und erwiderte Paxtons Blick. »Mehr habe ich leider nicht herausgefunden«, sagte er mit hochrotem Gesicht, als wäre die dürftige Auskunft ihm peinlich.
    »Aber das ist doch ganz wunderbar!«, rief Joseph Paxton. »Mehr will ich ja gar nicht wissen!«
    Erlöst von einer Anspannung, die er sich selbst kaum eingestanden hatte, nahm er ein Stück Seife und beugte sich über das Becken, um sich die Hände zu waschen.

21
     
    »Victor – wie siehst du denn aus? Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt!«
    Robert, der mit zwei Viktualienhändlern am Tresen des »Ginkontors« stand, zog ein so ungläubiges Gesicht, als würde er seinen eigenen Augen nicht trauen.
    »Ich muss mit dir sprechen«, sagte Victor und kratzte sich am Hals, wo der ungewohnte Bart ihn juckte. Seit einer Woche hatte er sich nicht mehr rasiert – ein Teil des Plans, den er mit Emily gefasst hatte. »Aber nicht hier«, fügte er mit einem Blick auf die Viktualienhändler hinzu.
    »So, du willst, dass uns keiner hört?«, fragte Robert. »Verstehe. Komm mit.«
    Während Victor ihm durch den Branntweinladen folgte, wo im Schein der Gaslampen die Gäste sich zu Dutzenden an den Tischen drängten, um den Lohn einer Woche zu vertrinken, sah er plötzlich Toby wieder vor sich, wie er am Tresen seinen irischen Whisky trank, und er schämte sich vor seinem toten Freund. Jetzt, da er Robert für seine Pläne brauchte, suchte er ihn in der Schnapsbude auf. Doch hätte er nicht viel früher herkommen müssen? Um ihn zur Rede zu stellen oder ihn zur Polizei zu schleifen? Warum hatte er es nie getan?
    »Hier sind wir ungestört«, sagte Robert und setzte sich an einen Tisch in der hintersten Ecke des Lokals, wo eine Reihe mannshoher Sherryfässer sie vom allgemeinen Stimmengesumm abschirmte. »Was gibt’s?«, fragte er dann mit einem Grinsen. »Hast du vielleicht wieder eine Idee? So wie damals mit den Zügen?«
    Victor tat so, als hätte er die Frage nicht gehört. Er holte ein Blatt Papier aus der Tasche und faltete es auseinander. »Das hier muss gedruckt werden. Kannst du das erledigen?«
    »Zeig mal her.«
    Während ein Schankmädchen zwei Gläser und eine Flasche vor sie hinstellte, nahm Robert das Blatt. Kaum hatte er die ersten Zeilen überflogen, pfiff er leise durch die Zähne.
    »… Sie hatten uns ein Fest der Völker und des Friedens versprochen«,
las er den Text mit gedämpfter Stimme.
»Doch was wir in Joseph Paxtons gläsernem Tempel erleben, ist ein Fest der Lüge und des Betrugs. Das Paradies, das im Kristallpalast gefeiert wird, ist ein falsches Paradies. Die angeblichen Wunder zeugen nicht von der Schönheit und Größe des menschlichen Geistes, sondern von der Ungerechtigkeit und Grausamkeit, zu der einige wenige Menschen fähig sind, um ihre Interessen auf dem Rücken vieler anderer Menschen durchzusetzen. Doch diese dunkle Kehrseite wollen die Besucher der Ausstellung nicht sehen, weder die reichen Saisonkarten-Besitzer mit ihren frommen Sonntagsgesichtern, noch die Arbeiter in ihren schäbigen Anzügen, die nur allzu bereitwillig den Märchen glauben, die man ihnen erzählt. Blind für die Wahrheit, strömen sie in die Kathedrale ihrer eigenen Unterdrückung, und statt gegen ihre Ausbeuter zu revoltieren, berauschen sie sich am Anblick der Maschinen, die die Arbeit ihrer Hände überflüssig machen, so wie die Chinesen in den Höhlen von Soho sich an ihren Opiumpfeifen berauschen, obwohl diese ihnen den sicheren Tod bringen …«
    Mit glänzenden

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