Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
auf die Schulter. »Du hast dich ziemlich verändert, mein Bester, aber ich muss sagen, sehr zu deinem Vorteil. Ich könnte mir vorstellen, dass wir zwei am Ende doch noch Freunde werden.« Er füllte sein Glas nach und prostete ihm zu. »Brauchst du vielleicht sonst noch was?«
    Victor zögerte. Ja, es gab noch etwas, was er brauchte, und unter allen Menschen, die er kannte, war Robert der Einzige, der über die nötigen Kontakte verfügte, um an die Sachen heranzukommen. Aber sollte er ihn wirklich darum bitten?
    Bevor er sich entschieden hatte, nahm Victor sein Glas und stürzte den Gin hinunter. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schnaps vom Mund und beugte sich über den Tisch. »Ich brauche Sprengstoff«, flüsterte er Robert zu. »Kannst du welchen besorgen?«

22
     
    Irgendwo schlug eine Glocke Mitternacht. Seit zehn Minuten wartete Emily schon an der Kellertür des Kristallpalasts.
    Hatte Victor es nicht geschafft?
    Sie zwang sich zur Geduld. Er hatte ihr versprochen, dass nichts schief gehen konnte. Seit drei Tagen arbeitete er im Maschinenraum des Ausstellungsgebäudes, als Heizer an einer Dampfmaschine,und hatte sich extra einen Bart wachsen lassen, damit ihn niemand erkannte.
    Nervös schaute Emily sich um. Die Nacht war sternenklar. Wenn ein Wachtposten oben auf dem Gehweg patrouillierte, würde er sie unweigerlich sehen. Obwohl sie sich wie auf einem Präsentierteller fühlte, blieb ihr nichts anderes übrig, als weiter zu warten. Es war die einzige Tür, die Victor ohne Schlüssel von innen öffnen konnte, er hatte sie ihr genau beschrieben, bevor er sich hatte einschließen lassen. Heute Nacht würden sie die Unterlagen besorgen, die sie zur Ausführung ihres Plans brauchten.
    Endlich näherten sich Schritte. Mit einem Knarren ging die Tür auf.
    »Komm rein«, flüsterte Victor. »Aber leise! Im Maschinenraum sind noch zwei Heizer.«
    Auf Zehenspitzen gingen sie die Treppe hinauf, die vom Keller ins Erdgeschoss führte. Victor öffnete eine zweite Tür, und plötzlich befand Emily sich wieder in gewohnter Umgebung. Der Flur, in der eine einzelne Lampe ihren schwachen Schein verbreitete, führte zum Büro ihres Vaters – die dritte Tür links. Emily griff nach der Klinke, zum Glück war sie nicht abgesperrt. Wie sicher er sich in seinem Tempel fühlte, offenbar kam er gar nicht auf die Idee, dass jemand sich bis ins Innerste seines Heiligtums vorwagen könnte.
    »Ich warte draußen«, sagte Victor.
    Mit einem seltsamen Gefühl betrat sie das Büro. Das letzte Mal, als sie hier gewesen war, hatte sie sich mit ihrem Vater gestritten, am Tag nach Victors Entlassung. Doch sie verdrängte den Gedanken, die Erinnerung machte sie nur wütend, und sie musste sich konzentrieren … Wo waren die Gebäudepläne abgelegt? Das Mondlicht, das von draußen durchs Fenster fiel, war so hell, dass sie die Etiketten an den Regalschubladen ohne Mühe lesen konnte. Sie trugen die Handschrift ihres Vaters, Emily kannte sie wie ihre eigene. Als Kind hatte sie endloseStunden damit verbracht, seine Schrift nachzuahmen, und sie hatte es darin zu einer solchen Perfektion gebracht, dass er manchmal seine Aufschriebe nicht von ihren Kopien hatte unterscheiden können.
    Victor steckte seinen Kopf durch die Tür. »Kommst du zurecht?« Emily nickte. Der Ordnungssinn ihres Vaters machte ihr die Suche leicht. Die Baupläne waren in drei Schubkästen verteilt: Aufrisse, Grundrisse, Querschnitte … Darunter folgte ein Fach mit Innenansichten des Gebäudes, ein weiteres mit dekorativen Details der Ausgestaltung, und dann kamen schon die Fächer mit den Konstruktionsplänen und technischen Installationen. Vorsichtig, um keine Unordnung zu machen, blätterte Emily in den Zeichnungen.
    »Alles da, was wir brauchen?«, fragte Victor, als sie wenig später auf den Gang zurückkehrte.
    »Alles da!« Triumphierend hielt sie die zusammengerollten Bögen in die Höhe.
    »Dann sollten wir jetzt verschwinden.«
    Emily wollte gerade durch die Tür treten, die den Flur von der Kellertreppe trennte, da fiel ihr Blick auf ein Bild, das eingerahmt und hinter Glas wie eine Reliquie an der Wand hing: das Seerosenblatt, das sie vor Monaten gezeichnet und ihrem Vater in die Mappe gelegt hatte, bevor er zu seiner Sitzung nach Derby gefahren war. Mit diesem Blatt hatte alles angefangen; die Adern und Verzweigungen, die seine Struktur gliederten, enthielten das ganze Konstruktionsprinzip, nach dem das Gebäude entstanden war – eine

Weitere Kostenlose Bücher