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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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der Mann seinen Fuß zwischen die Beine der Dame stellte, so leidenschaftlich, dass den ganzen Abend über ausschließlich Musikstücke eines gewissen Johann Strauß gespielt wurden. Paxton versuchte, die komplizierte Schrittfolge wiederherzustellen, aber es war zwecklos. Er reichte Sarah den Arm, um sie zwischen den sich im Kreis drehenden Tanzpaaren zu ihrem Platz zurückzuführen.
    »Das hättest du nie und niemals tun dürfen«, sagte er, als sie die leere Ehrentafel erreichten. »Das ist unerhört! Ich … ich finde keine Worte für dein Verhalten.«
    »Es war die einzige Möglichkeit, um die Sache ein für allemal zu beenden. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Du warst ja nicht da! Wie so oft, wenn ich dich brauche.«
    »Hast du denn gar nicht an Emilys Gefühle gedacht? Was für ein Schock für das Kind!«
    »Das hättest du dir früher überlegen sollen! Zum Beispiel vor über zwanzig Jahren! Als du den Bastard gezeugt hast.«
    »Hör auf, solchen Unsinn zu reden! Du weißt doch ganz genau …«
    »Gar nichts weiß ich! Nur dass du mich mein Leben lang betrogen hast. Jedem Rock bist du hinterhergerannt, und ich möchte gar nicht wissen, was du in Paris gemacht hast. Seit du zurück bist, hast du Kopfschmerzen oder bist erschöpft.«
    Mit einem furiosen Flirren, als hinge die Welt voller Geigen, brach die Musik ab, und bevor Paxton den Mund aufmachen konnte, um seiner Frau zu widersprechen, war es für ein paarSekunden in der mit Flaggen und Wappen geschmückten Halle so still wie in einer Kathedrale. Paxton blieb nichts anderes übrig, als seine Antwort hinunterzuwürgen.
    »Paxton, Sie Glückspilz!« Während auf der Tanzfläche die Paare auf den nächsten Walzer warteten, kam der Herzog von Devonshire mit strahlendem Gesicht auf ihn zu. »Die Königin äußert den Wunsch, mit Ihnen zu tanzen – mit meinem alten Gärtner! Sagen Sie selbst, hätten Sie sich das je träumen lassen?«
    Paxton hörte gar nicht hin. »Wo ist Emily jetzt?«, fragte er seine Frau.
    »Zu Hause. Sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und weigert sich, es zu verlassen.«
    »Meinen Wagen!«, rief Paxton einem Saaldiener zu.
    »Um Gottes willen!« Der Herzog war entsetzt. »Sie können doch nicht einfach gehen! Oder wollen Sie der Königin einen Korb geben?«
    Ohne eine Antwort ließ Paxton die beiden stehen und eilte aus dem Saal.
    Zwei Minuten später rollte seine Kutsche vom Hof der Guildhall. Während der Wagen rasselnd St. Paul’s passierte und dann im scharfen Trab in die spärlich beleuchtete Fleet Street einbog, zermarterte Paxton sich das Gehirn. Was sollte er Emily sagen? Er kannte seine Tochter besser als jeder andere Mensch und wusste, was sie fühlte. Wenn er jetzt nicht die richtigen Worte fand, um die Dinge zurechtzurücken, würde er sie für immer verlieren.
    Er biss sich so fest auf die Lippe, dass sie blutete. Mit allem hatte er gerechnet, doch wie hätte er darauf kommen sollen, dass Sarah plötzlich verrückt spielte? Während der Zugreise von Derby hatte er die ganze Zeit überlegt, wie er sein kleines Malheur vor ihr verbergen konnte. Doch was war sein harmloser Fehltritt im Vergleich zu dem Irrsinn, zu dem sie sich hatte hinreißen lassen? Er konnte es immer noch nicht fassen. Eine solche Ungeheuerlichkeit, eine so unglaubliche Schamlosigkeit, nur um Emily und Victor zu trennen … Das Kind musste die Hölle durchmachen.
    »Brrrrrr!«
    Die Kutsche stand noch nicht vor dem Haus, als Paxton auch schon auf die Straße sprang. Er war so erregt, dass er kaum den Schlüssel ins Schloss brachte. Zum Glück öffnete der Butler ihm die Tür.
    »Oh, schon zurück, Sir?«, fragte Jonathan.
    »Bitte holen Sie den großen Schlüsselbund. Mit sämtlichen Schlüsseln des Hauses.«
    Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief Paxton in den ersten Stock hinauf, vorbei an der Bibliothek, bis ans Ende des Etagenflurs, zu den Schlafzimmern der Kinder.
    »Emily!«, rief er und klopfte an die Tür.
    Von innen kam keine Antwort.
    »Emily? Ich bin’s, dein Vater. Ich muss mit dir reden.« Ungeduldig blickte er über die Schulter. »Jonathan, wo bleiben die Schlüssel?«
    »Hier, Sir. Einen Moment, Sir.«
    Während der alte Butler keuchend die Treppe heraufkam, rüttelte Paxton an der Tür.
    Zu seiner Verblüffung sprang sie auf.
    »Emily!«, rief er erleichtert. »E-mi-ly …«
    Der Name erstarb ihm auf den Lippen.
    Das Zimmer seiner Tochter war so leer wie das Grab Christi. Nur Pythia, die Schildkröte, die er ihr vor vielen Jahren

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