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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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auch nur den Mund aufmachen konnte.
    »Leugnen ist zwecklos, ich weiß Bescheid«, bellte er von unten herauf. »Neunzig Prozent aller Fälle werden im Puff übertragen. Ja ja, je hübscher das Hürchen, desto schlimmer das Blessürchen … Wenn jemand ein wirksames Mittel gegen die Ansteckung fände – eine goldene Nase würde er sich damit verdienen!« Ohne Vorwarnung zog er die Vorhaut von der Eichel zurück. »Tut das weh?«
    Paxton verzog vor Schmerz das Gesicht.
    »Höchste Zeit, dass Sie gekommen sind! Ein richtiges Rotkäppchen, das Sie da herangezüchtet haben! Muss beim Pinkeln wie Pfeffer brennen. Schleimausfluss beobachtet?«
    »Vor allem in der ersten Woche. Danach hat es wieder nachgelassen.«
    »Hm. Kein gutes Zeichen.« Dr. Livingstone stand auf und ging zurück an seinen Schreibtisch. »Wenn Sie Wert auf korrekte Kleidung legen, können Sie sich jetzt wieder anziehen.«
    Während draußen die Schwalben auf dem Fabrikdach landeten, zog Paxton sich die Hose hoch und verschloss die Knöpfe. Wie sollte er das nur vor Sarah geheim halten? Seit seiner Rückkehr aus Paris vernachlässigte er nun schon seine Frau, und jedes Mal, wenn sie ihm ihre Bereitschaft signalisierte, musste er Ausflüchtemachen. Noch nie in all den Jahren ihrer Ehe hatte er so häufig über Kopfschmerzen oder Erschöpfung geklagt wie in den letzten Wochen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Sarah Verdacht schöpfen würde. Wie hatte er auch nur so dämlich sein können, sich für ein paar Sekunden grunzenden Vergnügens ein solches Malheur einzuhandeln? Als wäre er nicht achtundvierzig Jahre alt, sondern vierundzwanzig.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Arzt, als Paxton sich räusperte.
    »Jetzt wollen Sie natürlich wissen, wann Sie wieder diensttauglich sind. Stimmt’s?«
    »Um ehrlich zu sein, ich wäre Ihnen sehr dankbar. Vor allem im Interesse meiner Frau.«
    »Soso – auch in der Ehe noch Gewehr bei Fuß? Guter Soldat, der Mann!« Dr. Livingstone strich sich über die Glatze.
    »Schwer zu sagen, mein Bester. Dadurch, dass Sie die Behandlung so lange hinausgezögert haben, besteht die Gefahr einer chronischen Entzündung. Jetzt ist die ganze ärztliche Kunst gefragt.«
    »Was kann ich tun, um die Heilung zu beschleunigen?«
    »Ich werde Ihnen eine Lösung von Silbersalzen verschreiben. Damit bestreichen Sie das edle Teil dreimal am Tag. Alkohol und scharfe Speisen sind vorläufig verboten! Außerdem sollten Sie auf eine ruhige Lebensweise achten, jeder Exzess kann einen Rückfall hervorrufen. Wenn Sie entsprechend parieren, sollten die Schmerzen in ein paar Tagen vorbei sein. Doch Vorsicht!«, fügte der Arzt mit erhobener Hand hinzu. »Das heißt noch lange nicht, dass die Sache ausgestanden wäre. Es besteht weiterhin akute Ansteckungsgefahr, und ich nehme nicht an, dass Sie die Mutter Ihrer Kinder umbringen wollen. Die Folgen für die Frau sind ungleich schlimmer.«
    »Wie lange muss ich mich noch gedulden?«
    »Acht Wochen«, sagte der Arzt, während er das Rezept ausstellte.
    »Und in der Zwischenzeit sollten Sie Ihr Allerheiligstes hübsch ordentlich in ein Suspensorium packen. Jede Reizung ist für das Rotkäppchen Gift!«
    »Acht Wochen?«, fragte Paxton.
    »Mindestens«, bellte Dr. Livingstone, ohne vom Schreibtisch aufzuschauen. »Danach sehen wir weiter.«

9
     
    Das also waren die Dinge, über die man nicht sprechen konnte … Ein frischer Wind aus Südwest, untypisch für die Jahreszeit, wehte über das Land und vertrieb die dunklen Regenwolken, die am Morgen noch den Himmel bedeckt hatten, sodass gegen Mittag die Sonne so hell und warm auf London herabschien, als wäre der Sommer noch einmal für einen letzten Tag zurückgekehrt. Doch während die Menschen in die Parks und Gärten der Hauptstadt strömten, um das Leben zu genießen, lag Emily auf ihrem Bett, unfähig, auch nur einen Fuß über die Schwelle ihres Zimmers zu setzen. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, ohne jedes Gefühl für die Zeit. Irgendwann war ein neuer Tag angebrochen, vor ein paar Stunden oder vor einer Ewigkeit – sie wusste es nicht. Sie hörte nicht die Vögel, die draußen vor ihrem Fenster zwitscherten, noch das Klappern der Töpfe und Teller, das aus der Küche zu ihr drang. Betäubt, stumpf, tot lag sie da, in einem Zustand fühlloser Apathie, so reglos wie ihre Schildkröte Pythia, die unverwandt an derselben Stelle in ihrem Terrarium lag, wo Emily sie am Abend zuvor aus der Hand hatte fallen lassen. Nur die

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