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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sich, lächelnd nickte sie ihm zu, wie um ihn zu ermutigen. Er nahm die Füllfeder und unterschrieb.
    »Es ist eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Mr. Cole«, sagte James Munday. »Wenn Sie noch eine Viertelstunde Zeit haben, würde ich gern einen kleinen Zusatzvertrag aufsetzen, um Ihre besonderen Bemühungen zu belohnen. Ich meine, das haben Sie sich verdient.«

14
     
    Fauchend und dampfend kam die Lokomotive am Bahnsteig zum Stehen. Wie betäubt von der rasenden Fahrt erhob Victor sich von der Holzbank der vierten Klasse, um aus dem Zug zu steigen. Vor nicht einmal elf Stunden hatte er London verlassen, und jetzt war er plötzlich wieder in seiner alten Heimat. Er fühlte sich, als wäre er nicht nur durch halb England, sondern durch sein halbes Leben gebraust.
    Unsicher schaute er sich um. Auf dem Bahnsteig wimmelte es von Touristen, die zusammen mit ihm ausgestiegen waren. Sie hatten schon im Zug von den Gärten des Herzogs wie von einem Weltwunder geschwärmt. Während sie drängend undschnatternd auf den Ausgang des Gebäudes zustrebten, vor dem ein Dutzend Pferdeomnibusse wartete, versuchte Victor sich zu orientieren. Auf dem Gelände, auf dem sich der Bahnhof erhob, war da nicht früher der Bauernhof der Familie Fletcher gewesen? Und gegenüber, wo jetzt ein blitzblanker Laden Bücher und Andenken im Schaufenster ausstellte, hatte da nicht ein Kornschober gestanden, der einem Brandanschlag von Captain Swing zum Opfer gefallen war? Die Häuser entlang der Dorfstraße wirkten im hellen Schein der Morgensonne längst nicht so ärmlich, wie Victor sie in Erinnerung hatte, sondern so hübsch und bunt, als hätte ein freundlicher Riese einen Farbtopf über ihnen ausgeleert. Nur der Wetterhahn auf der kleinen Kirche ließ wie früher schon seine vom Wind abgeknickten Flügel hängen, und als Victor den Gasthof gegenüber der Kirche sah, verspürte er einen kurzen scharfen Schmerz. Dort hatte er die Nacht mit seiner Mutter verbracht, nachdem man sie aus Chatsworth verjagt hatte. Nicht einmal diese eine Nacht hatten sie länger in ihrem Cottage bleiben dürfen – Fremde in der Heimat, noch bevor die Postkutsche losgefahren war, die sie nach London gebracht hatte.
    Victor blickte zur Bahnhofsuhr. Der Zug war pünktlich angekommen, doch von Emily war weit und breit keine Spur. Während der Stationsvorsteher, ein kleiner dicker Mann mit einer goldbetressten Mütze auf dem Kopf, einer Gruppe von Touristen mit lauter Stimme erklärte, dass Mr. Paxton persönlich den Bahnhof erbaut habe, so wie alles hier in der Gegend von Mr. Paxton persönlich sei, kam Victor ein böser Verdacht. Hatte Emily sich etwa über ihn lustig gemacht und die Einladung gar nicht ernst gemeint? Schließlich war sie die Tochter von diesem großen Mr. Paxton. Nervös nestelte er an seiner schäbigen Kordjacke, die fast schwarz war von dem Ruß und Rauch, dem er auf der Reise ausgesetzt gewesen war. Vielleicht beobachtete sie ihn gerade von einem Versteck aus und amüsierte sich. Oder hatte sie etwa ihre Schildkröte Pythia befragt? Das hattesie früher oft getan, wenn sie sich nicht entscheiden konnte. Die Vorstellung, dass sie ihn womöglich versetzte, weil das blöde Vieh ein Blatt Salat fraß oder auch nicht, machte Victor fast verrückt.
    Er wollte sich gerade an den Stationsvorsteher wenden, da begannen die Glocken der Dorfkirche zu läuten, so heftig und laut, als wären sie außer Rand und Band geraten.
    Im nächsten Moment sah Victor sie. Im Laufschritt kam Emily auf ihn zu, zwei leuchtende Augen und ein lachender Mund. Es war, als finge plötzlich eine Musikkapelle an zu spielen.
    »Hörst du die Glocken?«, fragte Emily außer Atem. »Die läuten für dich!«
    »Die Glocken?«, fragte er wie ein Idiot zurück. »Für mich?«
    »Ja, Victor«, sagte sie und nahm seine Hände. »Das ist mein Dankeschön – für deine Rosenblätter.«
    »Ich … ich verstehe überhaupt nichts. Wie kommst du dazu, die Glocken zu läuten? Bist du die Frau des Küsters?«
    »Wir hatten heute morgen eine Taufe in Chatsworth, und dafür werden immer die Glocken geläutet. Ein Tick meines Vaters, um alle neugeborenen Kinder auf der Welt willkommen zu heißen.« Emily grinste. »Ich habe dem Küster eine Flasche Wein gegeben, damit er erst jetzt läutet, zu deiner Ankunft.«
    Victor konnte es kaum fassen. Emily, seine alte Freundin, stand vor ihm und sah ihn an mit ihren türkisgrünen Augen, in denen man baden konnte wie in einem See, sah ihn an und

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