Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
Einsamkeit seines Herrn und dessen Untätigkeit hatten ihn angelockt. Er näherte sich dem jungen Mann nur dann, wenn dieser allein war oder wenn sein Herr es von ihm verlangte. An diesem Abend spürte er, dass Andin ihn bald brauchen würde. Sorgfältig zupfte er sein mit roten Sternen durchsetztes Halsgefieder zurecht, ordnete mit dem Schnabel die kleinen, gesprenkelten Federn unter seinen weißen Flügeln und schüttelte den Schopf: Er war bereit.
Aber Andin wusste nicht, womit er beginnen sollte, denn er war von diesem Land eigenartig berührt. Er spürte die Gegenwart der Drei Feen nicht mehr um sich herum. Die unwiderstehliche Lust, weiter vorzudringen, war nach dem Umweg durch die Dunklen Wälder verflogen, aber sein Geist war weiterhin gezeichnet. In den Höllischen Nebeln hatte er es mit so vielen Geheimnissen und widerstreitenden Gefühlen zu tun gehabt, dass er nun Schwierigkeiten hatte, sich den eigentlichen Grund für seine Reise ins Gedächtnis zu rufen – nämlich eine Botschaft zu überbringen. Alles erschien ihm ungewöhnlich. Sogar die Geschichten über das Land waren anders als das, was man sich hier erzählte! Wenn die Maske kein potentieller Feind war, inwieweit mochte dann der Schuft Korta auf der Burg zu einem werden? Andin empfand bereits eine starke Abneigung gegen diesen Mann.
Die Dunkelheit und die Wirkung des Alkohols hinderten ihn daran, sich noch weiter Gedanken über ihn zu machen. Sein Verband erinnerte ihn an die köstlichen Augenblicke in den Dunklen Wäldern. Würde er das Mädchen-mit-den-blauen-Augen eines Tages wiedersehen? Der Duft der jungen Frau fegte den Gestank der Höllischen Nebel beiseite, und die Erinnerung an ihren seltsamen Blick verscheuchte rasch die Sorgen des Boten.
Andin starrte eine ganze Weile ins Leere und versuchte, seine Gedanken neu zu ordnen. Die gedämpfte, goldene Beleuchtung ließ Licht und Schatten über sein Gesicht tanzen, wie die feinen Wolken auf den Mondsicheln. Er rief sich die winzigsten Einzelheiten seiner letzten Tage in diesem doppelten Mondlicht ins Gedächtnis. Dann begann er in einer ordentlichen, zierlichen Handschrift einen schwärmerischen Brief.
Prinzessin Eline stand im Dunkeln an einem der beiden Fenster ihres Schlafzimmers. Ein großer Schleier aus schwarzem Musselin glitt ihr aus der Hand. Er streifte ihr in Lavendeltönen gehaltenes Kleid und sank auf einen Wollteppich, während auf den Lippen der jungen Frau eine Träne zitterte. Lügen und Erpressungen nagten ebenso sehr an der Prinzessin wie die Verzweiflung. Die Einsamkeit der Nacht machte alles noch schwerer zu ertragen, obwohl die Monde einen schönen Anblick boten.
Jemand klopfte an die Tür, aber Eline reagierte nicht. Sie wusste ganz genau, wer darauf wartete, von ihr hereingebeten zu werden. Sie hatte keine Lust, das zu tun. Mistra würde sich ohnehin über jede Weigerung, sie zu sehen, hinwegsetzen.
Beim dritten Klopfen trat die alte Jungfer, die ihr als Anstandsdame diente, wie erwartet ein. Das Licht, das aus dem Gang hereinfiel, enthüllte ein kleines, vertrocknetes und faltiges Mardergesicht. Dennoch konnte Mistra nicht viel älter als vierzig Jahre sein. Die Haube, die ihr Gesicht umhüllte, ließ sie noch strenger wirken, als sie es ohnehin schon war.
»Warum dieses Schweigen, Hoheit? Ihr wisst doch sehr gut, was ich Euch bringe.«
Eline drehte sich nicht um. Sie seufzte nur verächtlich und ergriff erst das Wort, als Mistra an einen Leuchter herantrat, um die Kerzen zu entzünden: »Ich möchte im Dunkeln bleiben. Allein. Stellt die Phiole auf mein Bett und geht.«
»Schlagt einen etwas anderen Tonfall an, Hoheit! Eure Schwester Elisa könnte darunter leiden …«
Bei der Drohung richtete sich Eline höher auf, wandte sich aber weiterhin nicht um. Sie erwies ihrer Anstandsdame nicht mehr die Ehre, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Sagt Euch Eurerseits, Mistra, dass Ihr für Euren Gebieter ebenso wenig von Bedeutung seid wie meine Wünsche. Elisa hat nichts von dem Ton zu fürchten, in dem ich mit Euch rede, und Kortas Abwesenheit könnte es mir sogar gestatten, mich Eurer ohne Mühe zu entledigen.«
Mistra sah verkniffen drein. Sie zog die rankenbestickten Vorhänge beiseite, die vom Baldachin des großen Betts herabhingen, und legte zwischen zwei seidene Kissen eine kleine Phiole, deren Glas von ihrem Inhalt gerötet war.
»Mein Verschwinden hätte weitaus mehr Konsequenzen, als Ihr glaubt. Die Informationen, die ich dem Herzog von Alekant über Euer
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