Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
spielten nicht mehr, sondern lagen ausgestreckt in den Ecken, resigniert wie Tiere, die ein unentrinnbares Ende erwarteten.
Der Anblick dieses Dorfs war grauenvoll. Andin wurde sich wieder einmal bewusst, wie sehr sein eigenes Volk privilegiert war.
Er saß ab und stieg langsam in den Hohlen Hügel hinunter. Dort standen etwa dreißig verfallene Häuser von undefinierbarer Farbe. Die Hälfte des Dachstrohs fehlte, so dass instabile Hängeböden sichtbar waren. Hier und da waren die Fachwerkwände zusammengebrochen. Von einem Stall waren nur noch Überreste zu erkennen: Das Dach war eingestürzt.
Es gab kein einziges Tier. Keine Kuh, kein Pferd, keinen Hund, nicht einmal ein Huhn! Wie überleben sie?
Andin erreichte die Dorfmitte. Dort, vor ihm, befand sich ein Brunnen. Rundherum zerborsten erfüllte er nicht länger seine Funktion. Er schien verstopft zu sein, so dass die Dorfbewohner Schmutz und Durst ausgeliefert waren. Andin erinnerte sich, dass er die letzte Wasserstelle eine gute Meile von hier passiert hatte. Sie mussten sicher mehrfach am Tag die Strecke dorthin bewältigen. Warum reparieren sie nicht lieber den Brunnen? Aber je mehr er sich umblickte, desto weniger sah er die für ein solches Unterfangen nötigen Werkzeuge: Den Einwohnern von Aces fehlte es an allem!
Er fühlte sich angesichts dieser Armut schwach und hilflos; Schuldgefühle schnürten ihm die Kehle zusammen, als er an die schönen, üppigen Wiesen von Pandema zurückdachte, wo man nichts als fröhliches Lachen hörte. Vielleicht hatte ihn die Furcht davor, all dies hier zu sehen, bisher davon abgehalten, die Grenze zu überschreiten – und nicht die Feen. Er hatte jetzt schon zu viel davon gesehen.
Schlimmer! Er hatte nichts bei sich, um … Um was zu tun? Was konnte er angesichts solcher Bedürftigkeit versuchen? Um dieses Dorf wieder in Schuss zu bringen, hätte man große Mengen an Material benötigt, und das nötige Geld dazu war nicht aufzutreiben, das sah man doch!
Die Leute musterten ihn mit Erstaunen oder mit einem Lächeln. Hinter ihren geschwärzten Gesichtern verbarg sich eine Hoffnung. Andin hatte bemerkt, dass seine Ankunft im gesamten Dorf Interesse erregt hatte. Das Weiß seines Hemds leuchtete, so sehr hob es sich vom umgebenden Grau und Schwarz und den Erdtönen ab! Ein kleiner Junge folgte ihm schon die ganze Zeit, verängstigt, aber zugleich getrieben von seiner Neugier und angelockt von der schönen Stute.
Ein untersetzter Mann, der in einen kurzen, abgetragenen Kittel gekleidet war, näherte sich Andin ebenfalls. Er war schon recht alt; große, buschige Augenbrauen teilten sein Gesicht, und ein dichter, graumelierter Bart verbarg den Rest. Er streckte die kräftige Hand aus und ergriff das Medaillon, das der junge Mann um den Hals trug. Alle Blicke waren auf sie geheftet. Der alte Mann warf einen vor Tränen schimmernden Blick auf Andin.
»Kommen sie heute?«
Andin wusste nicht viel, aber er verstand, wovon der Mann sprach. »Ich weiß, dass die Maske in … etwa einer Stunde hier sein sollte.«
Das Leben kehrte abrupt zurück. Die Einwohner von Aces hatten sich dem Unglück entgegengestemmt und es dank der Verheißung bekämpft, dass die Maske zurückkehren würde. Endlich kam sie !
Andin war froh, ihnen durch diese einfache Antwort so viel Freude bereitet zu haben, aber das war noch nicht die letzte Überraschung für ihn.
»Guten Morgen! Ich bin ja froh, dass die Ablösung naht: Ich bin ganz erschöpft davon, immer zwischen Waldsaum und hier hin und her zu pendeln.«
Andin drehte sich abrupt um. Er hatte die Stimme wiedererkannt: Das war Ophelia! In ihrem hübschen, beigefarbenen Kleid, das noch immer von einer großen, weißen Schürze geschützt war, stach die Waldsaumerin ebenso wie er in diesem Dorf hervor. Was machte das junge Mädchen hier, so weit entfernt vom Gasthaus seiner Tante Askia?
»Ist es so erstaunlich, mich zu sehen?«, fragte sie schelmisch und zog die Nase kraus, die zart mit Sommersprossen übersät war. »Irgendjemand musste sich doch die letzten fünfzehn Tage über um diese armen Leute kümmern. Die Maske kann nicht überall gleichzeitig sein, obwohl sie es sich wünscht. Komm!«
Neugierig ließ Andin sich führen. Hinter der ersten Häuserreihe öffnete sich eine breitere Straße. Der Karren, den er sie mit einigen anderen Einwohnern von Waldsaum heimlich hatte vorbereiten sehen, stand an der Seite, beladen mit Wasserfässern und der allernotwendigsten Nahrung. So also hatten
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