Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
zusammen und drehte sich um. Der große Thronsaal lag vor ihm. Er hatte phantastische Ausmaße und war ohne Zweifel der schönste Raum im ganzen Palast. Gegenüber vom Eingang öffnete sich ein gewaltiger Balkon auf einen märchenhaften Park, der am Ufer des Binnenmeers und an den Klippen des Verbotenen Waldes endete. Die riesigen Fensterstöcke über den Glastüren bestanden aus üppigen, unvergleichlichen Glasbildern. Zu ihrer Rechten erhob sich der Thron, genauso imposant wie der Rest: Der Baldachin wurde noch von den feurigen Farben der Sonne erhellt.
Der König von Leiland war anwesend. Da er hochgewachsen war, fiel seine Wohlbeleibtheit nicht besonders auf. Seine schwere Krone, seine üppigen, purpurnen Brokatgewänder und sein brauner Bart verliehen ihm ein hochmütiges Äußeres. Aber seine salbeigrauen Augen spiegelten unendliches Elend wider, wie ein wolkenbedeckter Himmel. An seiner Seite stand eine Frau in einem Kleid aus smaragdfarbener Seide. Ihr mit einem zierlichen Diadem gekröntes Haupt verriet ihren Prinzessinnenrang, der Saphir der Königin an ihrer Hand, dass sie die Erstgeborene war. Aber Andin schnürte sich um seines Bruders Cedric willen die Brust zusammen: Die Dame war verschleiert.
Andin ignorierte die Adligen, die auf den Balkonen des ersten Stockwerks miteinander flüsterten oder sich im Saal räusperten, begrüßte Seine Majestät in aller Höflichkeit und übergab dem König endlich die Botschaft seines Vaters, indem er sie an einen schlaksigen Jungen weiterreichte. Der Herrscher von Leiland überflog den Brief mit großem Interesse. Auf seinen Lippen schien sich sogar ein heiteres Lächeln abzuzeichnen. Seine ganze Antwort bestand darin, sich zu erheben und Andin zu bedeuten, ihm zu folgen. Seine breite Mantelschleppe aus Eichhörnchenpelz glitt geschmeidig über die marmornen Stufen.
Ein junger Adliger, der als Page diente, ging dem König und Andin in ein Nebenzimmer von weitaus bescheideneren Ausmaßen voraus. Die Wände waren mit Teppichen, Wappenschilden und schweren Vorhängen aus olivgrünem Samt bedeckt. Eine hölzerne Wendeltreppe, die sich um eine Achse aus geschnitzten Vögeln und Knotenwerk drehte, führte zu den Galerien des Thronsaals. Ein großer Schreibtisch aus massiver Eiche nahm einen Großteil des dick mit Wollteppichen bedeckten Bodens ein.
»Ihr könnt uns allein lassen, Thalan.«
Der Page verneigte sich und ließ dabei die Feder seiner Kappe über den Boden schleifen; dann schloss er die Tür hinter sich. Nun hob der König den Blick zu Andin.
»Reist Ihr immer so, Hoheit? Ich dachte, Ihr wärt dem Tollfieber zum Opfer gefallen. Euer Tod ist in meiner Gegenwart nie angezweifelt worden.«
Andin war überrascht. Er war verraten!
»Majestät, ich … ich … ich bitte Eure Majestät, nichts zu verraten. Mein Vater hatte mir …«
»Der König von Pandema verlangt nicht von mir, Eure Identität bekannt zu machen, aber ich habe die Pflicht, Euch Eurem Rang entsprechend zu behandeln.«
Andin war zornig. Diese verdammte Botschaft war nur eine Falle gewesen!
»Dann bitte ich Eure Majestät, mich dem Hof unter dem Namen eines Grafen von Allenberg, das mein Geburtsort ist, vorzustellen. Diese Provinz gehört mir wirklich, Eure Majestät wird also nicht sehr lügen müssen.«
»Ihr habt bereits einen zweiten Titel?«
Der König von Leiland kannte die Prinzipien des seltsamen Königtums von Pandema. Andin war ein Prinz von Geblüt. Dieser Rang wurde wie gewöhnlich vererbt, aber alle anderen Adelstitel wurden nach Verdienst vergeben, und man erhielt sie nur um den Preis von Heldentaten. Das Erstaunen in der Frage des Königs bezog sich auf Andins Alter. Der junge Mann war nicht stolz darauf, Graf zu sein – aber durchaus darauf, erst zwanzig Jahre alt zu sein.
»Der Herrenrat hat ihn mir zugesprochen, und ich habe ihn angenommen, als ich vierzehn Jahre alt war.«
Der König schwieg erstaunt, bevor er antwortete: »Ich gestehe Euch diese Laune zu, Graf von Allenberg.«
Andin dankte ihm, aber der König hatte sein Lächeln schon verloren. Er fuhr sich mit matter Hand über die ergrauenden Schläfen.
»Was den Rest des Briefs betrifft, kann ich der Erwartung Eures Vaters nicht mehr entsprechen. Ich habe nur noch eine einzige heiratsfähige Tochter. Prinzessin Elisa ist seit sechs Jahren schwerkrank. Ihr Körper und ihre Seele sind in einem großen Schlaf verloren, der sich Stück für Stück dem Tod annähert.«
Diese Worte trafen Andin tief, und er war einen
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