Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
hypnotisierende Eigenart wie die ihrer Tochter. Es war kaum zu glauben, dass Selene nicht auch über dieselbe Macht verfügte.
» Vor fünf Jahren hatten wir eigentlich beschlossen, bis nach Pandema zu reisen. Glaubst du, dass wir die richtige Wahl getroffen haben, als wir hiergeblieben sind?«
Andin wusste nicht, ob sie ihm wirklich eine Frage stellte.
» Pandema ist ein Land ohne Krieg und Gewalt, aber seine Einwohner bleiben nicht von Eifersucht, Intoleranz und übler Nachrede verschont. Ich liebe mein Land über alles und weiß zu schätzen, dass es in den Welten als Ideal gilt, aber selbst in einem perfekten Rahmen bleiben die Menschen Menschen. Und blonde Haare sind dort weit verbreitet«, fügte er abschließend hinzu.
Selene lächelte: Seine Antwort gefiel ihr, und diese Offenheit bestätigte ihr alles, was Erwan gesagt hatte. Sie wusste seit langem, dass der Verbotene Wald ein friedlicher Zufluchtsort war, der alle menschlichen Hoffnungen übertraf. Sie hob den Kopf und betrachtete langsam die Landschaft.
Im intensiven Sonnenlicht erkannte Andin, trotz ihrer Färbung Weiß auf Weiß, eine leichte Narbe, die Selenes zarte Lippen durchzog. Überreste solcher Verletzungen waren bei Leuten, die als Kinder unternehmungslustig gewesen waren, gängig, aber hier störten sie Andin durch ihren Kontrast mit der heiteren Ruhe, die die junge Frau ausstrahlte. Die Narbe wirkte sonderbar und fehl am Platze.
» Ich habe mehrere Staaten in den Ungewöhnlichen Landen durchstreift und bin oft über das Eismeer gereist, aber ich bin nie auch nur einer einzigen Frau begegnet«, sagte Andin. » Warum und wie…«
» Was weißt du über die Scylinnen?«, unterbrach Selene.
» Nicht viel. Seit kurzem kenne ich das Gerücht, dass sie angeblich nur ein einziges Kind bekommen können, und nur, wenn sie den Vater lieben. Aber ich habe mich immer gefragt, wie die Scylen dann derart zahlreich sein können.«
» Die Frauen der Eislande sind dieser Prophezeiung der Feen nicht unterworfen. Und wenn es den Ungewöhnlichen Landen trotz der Macht der Augen der Männer noch immer nicht gelungen ist, sich das Land der Akaler zu unterwerfen, so deshalb, weil sie auch untereinander Krieg führen, um sich Frauen zu rauben.«
» Und ansonsten geht es nur um ein Landstück?«, fragte Andin bedauernd.
» Um den einzigen Zugang zum Meer, bevor abermals eine Reihe von großen Klippen beginnt«, verbesserte sie. » Das Eismeer im hohen Norden ist nur drei Monate im Jahr schiffbar, aber das musst du besser wissen als ich.«
Selene schwieg einen Augenblick lang. Sie musste sprechen, sie musste ihre Albträume austreiben.
» Alle Welt kennt die Prophezeiung über die Scylinnen nur dank mir. Wenn du in den Ungewöhnlichen Landen nie eine Frau gesehen hast, so nur deshalb, weil die Männer zu beschäftigt damit sind, sie zu verprügeln oder auszupeitschen. Fremden ersparen sie den Anblick ihres Blutes.«
Sie hatte in derart ausdruckslosem und gleichgültigem Tonfall gesprochen, dass Andin es kaum glauben konnte. » Aber wie stellen sie es dann an, Kinder zu bekommen?«
Die großen, türkisfarbenen Augen richteten ihren Blick auf ihn. » Indem sie die Prophezeiung umgehen. Die Scylinnen werden von frühester Jugend an in Verliesen von allem abgeschirmt. Sie kennen nichts als die Brutalität ihres Vaters und seiner Freunde, denen er sie anbietet. Wenn dann eines Tages ein Mann kommt, die Frau aus der Gefangenschaft entführt und ihr sagt, dass er sie liebt, kann sie gar nicht anders, als daran zu glauben. Ein kurzer Traum… Sobald ihr Kind geboren ist, verliert sie alles, sogar das Leben, weil eine Scylin, die schon Mutter ist, keinen Nutzen mehr hat.«
Andin wagte es zunächst nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Die Statue vor ihm war zum Gespenst geworden. Selenes Blässe ließ ihn nun an den Tod denken. Sie warf ihre Haarsträhnen mit einer heftigen Kopfbewegung nach hinten; ihre Ohrringe klimperten. Verzweifelt versuchte sie, sich von der Geschichte ihres Volks loszumachen. Aber auf Andin wirkte sie plötzlich genauso furchterregend wie Muht.
» Und keine Frau kann die Absichten der Scylen mithilfe des Zweiten Gesichts erahnen?«, fragte er, um sich der Antwort sicher zu sein.
» Nur die Männer verfügen darüber.«
» Also ist Chloe…«, begann er, um sich sofort zu unterbrechen.
» Chloe ist ein Mädchen, und sie ist zur Hälfte Akalerin. Die einzige Macht, über die sie verfügt, ist die, all dieses Entsetzen nie
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