Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
durchleben zu müssen. Niemals!«
Selene sammelte sich mit einem tiefen Atemzug; es war ihr unangenehm, geschrien zu haben. Sie hatte keine Macht, daran gab es keinen Zweifel mehr. Und Andin hatte Verständnis für Chloes Schweigen.
» In den Ungewöhnlichen Landen habe ich nie etwas von der Existenz der Feen gehört, aber mittlerweile weiß ich, dass sie es sind, die meinem Leben gestattet haben, nicht denselben Weg einzuschlagen wie das aller anderen Scylinnen. Ich habe alles herausgefunden, als ich bei einem Fluchtversuch ein Gespräch belauscht habe. Zur Strafe wurde ich in ein Lager in der Nähe von Akal geschickt und wurde Tausenden von Experimenten unterzogen, die dazu dienen sollten, die Prophezeiung zu umgehen. Eines Tages haben die Akaler das Lager angegriffen. Sie sind vielleicht klein, in der Unterzahl und verfügen nicht über das Zweite Gesicht, aber sie übertreffen die Scylen in der Kampfeskunst und Waffenbeherrschung. Das Lager fiel, und zum ersten Mal in der Geschichte der Ungewöhnlichen Lande wurde eine Scylin gefangen genommen. Zu Anfang nahm ich keinen Unterschied wahr, abgesehen davon, dass die Experimente endeten. Ich war einfach in einem anderen Lager in einer anderen Zelle.«
Sie lächelte schwach und fuhr fort: » Und dann wollte es der Zufall, dass ein kleiner, rothaariger Mann, der wie die anderen und doch ganz anders war, meine Zelle betrat.«
» Erwan«, warf Andin ein, der glaubte, alles verstanden zu haben.
Selene nickte mit einem Ernst, der zeigte, dass die Sache nicht ganz so einfach gewesen war. Aber sie hatte keine Lust, mehr darüber zu sagen.
» Im ersten Augenblick verabscheute ich ihn aus denselben Gründen wie die anderen, und er hasste die Scylen, die seine ganze Familie dezimiert und seine Frau getötet hatten. Dennoch bildete sich irgendwann gegen seinen und meinen Willen ein Vertrauensverhältnis zwischen uns heraus. Aber die Akaler billigten die Liebe, die zwischen uns aufkeimte, nicht. Ich wurde als sonderbare Märtyrerin empfangen, aber ganz gewiss nicht als Erwans künftige Frau oder gar als Mutter seines Kindes.«
Selene senkte merklich den Blick. Sie betrachtete einen Doppelring, der um Ring- und Mittelfinger ihrer linken Hand führte. Andin hatte ihn nicht sofort bemerkt, weil er sehr zierlich war und aus einem einfachen, in sich gedrehten Eisenband bestand. Andin senkte die Lider.
» Nun verstehe ich eure Flucht«, sagte er ernst. » Der König von Pandema hätte euch ohne Zweifel Land geschenkt. Das Volk wäre vielleicht zurückhaltender gewesen, aber ich weiß, dass mein Herrscher nicht gezögert hätte, euch aufzunehmen. Der Adel von Geblüt ist in meinem Land vor allem ein Adel des Herzens.«
» Vielleicht gehen wir eines Tages dorthin? Der Verbotene Wald sollte nur eine Zwischenstation sein.«
» Wie seid ihr hierhergelangt?«
Sie lächelte auf einmal breit. Die schmerzlichen Wolken der Vergangenheit hatten sich in Luft aufgelöst.
» Die Feen haben dafür gesorgt, dass unser Weg den eines jungen Mädchens mit nachtblauen Augen gekreuzt hat.«
Andin lächelte leicht.
» Vic hat uns vorgeschlagen, so lange im Verbotenen Wald zu bleiben, wie wir es für nötig hielten, um die Vergangenheit zu vergessen. Wir hatten vor, unsere Reise nach Chloes Geburt bis nach Pandema fortzusetzen, aber dann haben wir Leiland und Vics Kampf entdeckt. Als Erwan erfahren hat, worin ihr Ziel besteht, erschien ihm ihre Sache so edel, dass er gar nicht umhinkonnte, sich daran zu beteiligen. In seinem Land war er ein Oberalchemist des Königs. Er hat nicht gezögert, wieder zum Schwert und zu seinen Zaubertränken zu greifen, um einer der drei Waffenmeister der Truppe zu werden. So sind wir geblieben.«
» Ich glaube, ich hätte dasselbe getan«, bekannte Andin nachdenklich.
Beide schwiegen einen Moment lang. Selenes Blick, der nicht davon abließ, die Landschaft zu bewundern, fiel plötzlich auf den Großen Baum.
» Oh!«, rief sie in empörtem Ton.
Andin drehte sich um. Chloes kupferfarbenes Haar und Melanies blonde Zöpfe hüpften auf den Strand zu.
Selene seufzte enttäuscht und musste doch am Ende lächeln.
» Geh, mein Engel«, murmelte sie, » du hast alle Privilegien, und das wichtigste ist das der Freiheit. Bring Melanie das bei.«
Sie begegnete Andins Blick. » Alle Kinder und Erwachsenen können hier Bildung erwerben«, erklärte sie. » Erwan legt sehr großen Wert darauf. Ich habe es genossen, Lesen und Schreiben zu lernen, aber keiner von uns hat die
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