Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
Gefährten, Hoheit«, bemerkte Frederik von Pandema an Prinzessin Eline gewandt. »Jeder einzelne verfügt über eine erstaunliche Begabung. Und sogar die schlimmsten könnten die besten sein.«
»Hoffen wir, dass unser Einfallsreichtum uns gestattet, heute Abend zu gewinnen, Majestät.«
Gemeinsam richteten sie die Blicke auf die große Königsburg von Leiland. Die schönen, weißen Steine des gewaltigen Gebäudes schienen schwarz geworden zu sein. Die Türme mit den Schieferdächern hatten noch nie so spitz und messerscharf gewirkt. Die Standarten, die über ihnen flatterten, zeigten die blutrote Farbe des Hauses Alekant, und die herabgelassene Zugbrücke glich einer gewaltigen, herausgestreckten Zunge, die aus dem Maul eines unheimlichen Dämons ragte. Sorgten nur die violetten und orangefarbenen Streifen des Himmels für diesen Eindruck? Je näher sie der Burg kamen, desto stärker wurde ihr Unbehagen.
Die Tore standen offen; alles war verlassen. Erwans Elixier schien nutzlos zu sein: Die Sarikeln waren schon weit von der Brücke entfernt. Das roch nach einer Falle! Eline drehte sich nach der Kutsche um, aus der Joran sein Schnäuzchen und die kleinen, pelzigen Pfoten hervorstreckte.
»Sag mal, hat Joranikar Enkil auch so empfangen?«
Joran war ein wenig überrumpelt, antwortete dann aber:
»Die Aschestraße war weniger spektakulär, aber über jedem Tor steckten die Köpfe von zwei Adligen. Joranikar hatte jeden einzelnen von ihnen zum Duell gefordert, während er auf Enkil wartete, um ihn demselben Schicksal zuzuführen.«
»Also war es keine Falle. Dann wird es diesmal auch keine sein.«
»Glaub das nicht, Eline«, antwortete der Kump. »Ich… Joranikar war kein Feigling, er griff nie von hinten an. Das gilt nicht für Korta.«
»Woher wisst Ihr all diese Einzelheiten?«, fragte der König von Pandema erstaunt. »Liegen Euch Dokumente über diese Geschehnisse vor?«
»Nein«, antwortete Joran rasch. »Ich habe in persönlichen Nachforschungen Rückschlüsse über seinen Charakter gezogen.«
Er wagte es nicht, ihm zu sagen, dass er die Handschrift über Pandema, die er in seiner Bibliothek aufbewahrte, nie aufgeschlagen hatte. Er hatte selbst auf manche Abschnitte von Enkils Memoiren kaum einen Blick geworfen: Die Kopien hatte er nur zu Eleas Unterweisung angefertigt.
»Mein Vorfahr hat ein Buch geschrieben. Er stellt darin fest, dass Joranikar zwar einer der grausamsten Menschen jener Epoche war, dass sein Ehrgefühl ihn aber zu einem äußerst achtbaren Gegner machte. Er schließt den Bericht über ihren Kampf mit der Bemerkung, dass er seinen Tod bedauert. Er fand, dass Joranikar eine zweite Chance verdient gehabt hätte– dass er, wenn er sich seiner Grausamkeit hätte bewusst werden können, ein guter Mensch hätte werden können.«
»Ein guter Mensch? Was für ein Unfug!«, zischte Joran.
Aber seine bitteren Worte dienten nur dazu, die entsetzliche Verwirrung seines Herzens zu verbergen. Die Feen hatten Enkils Wunsch erfüllt! Er war wegen dieses Vagabunden zum Ungeheuer geworden! Gern hätte er ihn noch mehr verabscheut, aber dass Enkil eine gute Eigenschaft in ihm erkannt hatte, rührte ihn.
»Der Vorfahr Eurer Majestät hat sich den Verstand zu sehr mit Gefühlen belastet, aber ich muss gestehen, dass sein Mut und seine Tapferkeit ihn adelten.«
Er hätte es nie für möglich gehalten, dass er eines Tages fähig sein würde, einen solchen Satz über Enkil zu sagen. Frederik von Pandema nickte angesichts dieses Lobs.
»Ich danke Euch in seinem Namen«, sagte er lächelnd.
»Nun gut, ich glaube, wir können jetzt entscheiden, ob wir die Burg betreten oder nicht«, unterbrach Eline, die befürchtete, dass ihr Austausch von Höflichkeiten sich noch länger hinziehen würde.
»Mein unzuverlässiger Sohn Andin ist nicht da«, antwortete der Herrscher.
»Elea auch nicht«, hob Joran hervor.
»Genauso wenig Cedric«, bemerkte Eline.
Sie schwiegen alle drei eine Weile.
»Warten wir auf sie?«, fragte Frederik.
»Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall kann ich die Burg nicht betreten.«
»Aus welchem Grund?«
»Ein Niedergeist kann nicht ohne Erlaubnis ins Revier eines Hochgeists eindringen. Habt Ihr das etwa vergessen, Eure Majestät?«
»Nein, ich hatte nur vergessen, wer Ihr seid«, sagte der König schmunzelnd. »Nun gut– gehen wir. Eure Hoheit kann sich so von meinem Mut überzeugen«, bemerkte er an Eline gewandt. »Wir haben einen Großteil der Nacht über Pläne geschmiedet,
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