Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
kommen.
Andin fühlte sich einen Augenblick lang verunsichert. Doch seine Freunde widersprachen der Entscheidung des Volks nicht. Sie waren alle bereit, ihm zu folgen. Andin war ein Ausländer, noch dazu ein Prinz: Seine Einmischung war eigentlich unzulässig. Aber es war ja nicht das erste Mal. Er erklärte sich bereit, als Befehlshaber zu fungieren.
Die Männer waren rasch aufgeteilt: Ceban, Allan und Theon brachen als Erste auf und führten die Hälfte der Männer nach Yil. Nicht weit von diesem Ort entfernt gab es eine riesige Befestigungsanlage. Der Herzog von Yil war wie alle anderen auf die Königsburg geflohen. Die drei Männer sollten den Bewohnern von Yil helfen, sich in die Festung zurückzuziehen und der Belagerung standzuhalten, während sie auf Verstärkung warteten.
Andin ging sehr diplomatisch vor, als er mit Estelle sprach. Er beglückwünschte sie, erinnerte sie aber dann daran, dass vier Kinder auf sie warteten. Die Hilfe der jungen Frau war wertvoll gewesen, solange die Kämpfer aus dem Verbotenen Wald geglaubt hatten, nicht zahlreich genug zu sein. Aber jetzt…
Estelle ließ ihn nicht erst allerlei Vorwände vorbringen, sondern stieg wieder vom Pferd. Sie reichte sogar ihr Schwert an einen Dorfbewohner weiter, bevor sie allen mit einem Lächeln viel Glück wünschte. Sie hatte bekommen, was sie gewollt hatte, und hatte allen gezeigt, wozu sie in der Lage war. Ihre Schwangerschaft hatte nichts verändert.
Ohne große Bitterkeit sah sie ihnen nach, wie sie über Land davonritten. Die Erde holte nach dieser ersten Schlacht wieder Atem. Der Staub, den der Wind vom Boden aufwirbelte, schien die Reiter in neue Kämpfe zu treiben. Estelle fand, dass diese Männer über etwas sehr Kostbares verfügten. Elea wäre stolz gewesen zu sehen, wie all diese Bauern sich gemeinsam gegen Kortas Willkür und seinen Zorn erhoben. Die junge Frau bewunderte sie einen langen Augenblick, umgeben von Toten und vom ohrenbetäubenden Sturmläuten der Glocken aller Nachbardörfer. Zwar durchtränkten der Gestank nach Feuer und der Geschmack von Blut ihre Sinne, so dass im Grunde ihres Herzens ein wenig Angst zurückblieb, wie jedes Mal. Doch Estelle wollte die Furcht vergessen. Sie, die doch so zerbrechlich war, hatte sich im Blick des Kindes, das sie gerettet hatte, derart unbesiegbar gefühlt. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihre Freunde Gefahr liefen, zu sterben. Überdies wachte Joran vom Himmel aus über sie.
Der Vogel stellte eine Verbindung zwischen den verschiedenen Schlachtfeldern her und kam den Truppenbewegungen zuvor. Er glitt zwischen den Wolken bis Etel und kehrte schneller als der Wind zurück, um seine Streiter zu warnen. Korta mochte ja zurückgezogen in seinen Gemächern bleiben, um Pläne zu schmieden, und Muht allein ins Feld schicken. Joran beobachtete jedenfalls den Aufbruch der Soldaten und die Richtungen, die sie einschlugen.
Ohne irgendetwas darüber zu sagen, verspürte Joran auch einen Anflug von Besorgnis um die Prinzessinnen. Er hatte vergeblich die ganze Burg umrundet: Im Prinzessinnenturm hatte er nur geschlossene Fenster vorgefunden. Aber als er heimlich nahe am Schreibzimmer des Königs vorbeigestrichen war, hatte er menschliche Umrisse wahrgenommen. Seine Majestät sah aus dem Fenster. Wusste der König weiterhin nichts von all diesem Aufruhr und Krieg? Oder ahnte er, wovon er umgeben war?
Hinter verschlossenen Türen
Allein, von allen vergessen. Der König stand am Fenster seines Arbeitszimmers. Die grauen Wolken seiner Augen wurden kaum von der Sonne dieses Tags erhellt. Er dachte nach.
Hinter ihren Befestigungsmauern verschanzt wirkte die Stadt Etel wie eine gewaltige Insel vor einem grünen Horizont. Die Hügel waren Wellen, die Dörfer verstreute Riffe. Die weißen Wolken rollten darüber hinweg und breiteten sich aus, ohne dass ein Sturm losbrach. Einige Schwalben umschwärmten die Burgtürme wie Möwen ein Schiff.
Der König konnte weder die Truppen auf der Großen Ebene sehen noch das Läuten der Sturmglocken hören, das der Wind in die entgegengesetzte Richtung trug. Dennoch füllte sich sein Kopf mit Worten, Schreien und Schreckensbildern, die er zu verstehen versuchte. Aus dieser wiederaufgestiegenen Vergangenheit speiste sich seine Verzweiflung, aber auch eine neue Kraft, die ihm den Mut verlieh, sich umzusehen, und ihn aus seinem Schlummer riss. Er hatte zwei Tage damit verbracht, seine Erinnerungen wieder und wieder an sich vorbeiziehen zu lassen, zwei
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