Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
stoßen?
Nein, nein, nein, sagte Thalan sich immer wieder, um sich zu beruhigen.
Und doch hatte Seine Majestät allein sein wollen!
Der Junge war schon wieder auf den Beinen. Die Besorgnis schnürte ihm die Kehle zusammen. Seine Schuhe aus geschmeidigem Leder glitten über die marmornen Bodenplatten, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Während er die kobaltblaue Seidenkappe wie einen Lappen zwischen den Händen rieb, näherte er sich den großen Samtvorhängen. Er hörte nichts. Was tat der König nur?
Thalan hatte Angst. Angst vor seiner eigenen Angst. Das Herz klopfte ihm bis zum Zerspringen. Schließlich riskierte er einen Blick ins Schreibzimmer des Königs.
Seine Majestät saß reglos an seinem großen Schreibtisch aus Eichenholz. Der ratlose Blick des Königs war auf seine Hände gerichtet, die ein geöffnetes Medaillon hielten. Thalan erkannte darin das kleine goldene Schmuckstück, das der König stets in einer verschlossenen Schublade aufbewahrte. Eines Tages, als der Herrscher von ihm verlangt hatte, eine Urkunde herauszusuchen, war der Page zufällig darauf gestoßen. Aus Bewunderung für die Kunstfertigkeit des Goldschmieds, die sich an der Verarbeitung der Edelsteine und des Metalls zeigte, hatte Thalan es betrachtet und sogar geöffnet. Das Medaillon enthielt kein kostbares, sorgfältiges Porträt, sondern eine einfache Skizze, die aber, da sie von Meisterhand stammte, ganz hervorragend war.
Thalan hatte die Königin nicht mehr kennengelernt, aber aufgrund der Ähnlichkeit zwischen der Zeichnung und einem Porträt des Königspaars, das er, wie er sich erinnerte, auf dem Landsitz seines Vaters gesehen hatte, hatte er erraten, wer dargestellt war: Die schöne Königin Onemie, zu lebhaft und lebendig, um lange Modell zu stehen. Der Künstler hatte sie in einem verträumten Augenblick überrascht, wahrscheinlich in der Nähe eines Fensters. Dank seines Talents und der Feinheit seiner Bleistiftstriche hatte er jenen Ausdruck von Frische und Glück eingefangen, der ein ganzes Volk im Sturm erobert und einen König in die Knie gezwungen hatte.
Trotz seiner Jugend hatte Thalan sich in das Porträt verliebt. Wie hatte die Königin nur vor Kummer sterben können, da doch alles an ihr Frohsinn verriet? Wie hatten ihre Augen, die so blau wie der Saphir ihres Rings waren, sich nur für immer schließen können? Wie hatte sie glauben können, dass es genügte zu sterben, um zu verschwinden? Schon siebzehn Jahre… Die Erinnerung an ihr Lachen strich wie der Wind durch die Straßen von Leiland, man hörte ihren Namen dort noch immer: Und der König von Leiland war untröstlich über ihre Abwesenheit.
Der Herrscher regte sich. Entsetzt über seine Indiskretion versteckte Thalan sich. Aber er hatte den ersten Schritt auf die Neugier zu gemacht und konnte nun gar nicht mehr anders, als hinzusehen. Er beugte den Kopf wieder vor.
Der König hatte das Medaillon geschlossen und weggelegt. Wie abwesend und kalt sein Gesicht wirkte! War Seine Majestät zornig genug, nun aufzustehen und den Herzog von Alekant zu töten? Der Herrscher öffnete eine Schublade. Würde er einen mächtigen Dolch daraus hervorziehen, scharf und grausam? Nein. Thalan sah enttäuscht, dass Seine Majestät nur einige Blätter Pergament hervorholte. Er verstand nichts mehr. Was tat der König nur?
In seinen Gefühlen verloren kehrte der Page zu den Sesseln zurück. Er verstand noch nicht alle Feinheiten der Erwachsenenwelt. Niedergeschlagen setzte er sich auf seinen Hocker und wartete. Das Kratzen einer Feder auf Pergament war zu vernehmen, fieberhaft und unablässig.
Blutige Tränen
Auf der Großen Ebene neigte sich die Schlacht allmählich dem Ende zu. In Ines waren die Kämpfe schnell vorüber gewesen. Die dreißig Söldner, die das Dorf angegriffen hatten, hatten nicht damit gerechnet, von fünfzig bewaffneten, entfesselten Bauern empfangen zu werden, die von der Maske angeführt wurden. Der Wunsch, sich wie in Olas zu verteidigen, hatte den Leuten die nötige Kraft verliehen, und ihre Überzahl hatte ihren Mangel an Geschick und Erfahrung ausgeglichen.
Auf dem Weg zu den von Ceban, Allan und Theon geführten Truppen in der Festung Yil hatten Andin, Erwan und ihre Gefährten einen weiteren Angriff auf Orilen zurückgeschlagen und ihre Truppen um fünfzig weitere Bauern verstärkt.
Im Herzogtum Yil fanden sich die Soldaten plötzlich in die Enge getrieben und an die Mauern gedrängt wieder, die von dieser behelfsmäßigen Armee
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