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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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scheuchte Mando in die Küche.
    Als nach Einbruch der Dunkelheit Vlachos, Jorgo und eine verängstigte Poppy wieder das Haus betraten, berichtete ihnen Vassiliki, dass Räuber erst das Schloss des Hauses zerschossen und dann versucht hätten Mando zu entführen. Sie habe den Hauptmann erstochen. Die beiden Männer sollten die Leiche möglichst weit vom Haus entfernt deponieren und sofort wieder zurückkehren. Selim wurde also wie einst Kleopatra in einen Teppich gerollt und aus dem Haus geschafft.
    Mando hatte ein Glas Cognac in einem Zug heruntergestürzt und hielt sich jetzt an einem zweiten fest, als Vassiliki wieder in den Salon trat.
    »Wer war der Mann?«, fragte Mando. »Du kanntest ihn und er kannte dich.«
    Vassiliki blickte sie lange und unfreundlich an.
    »Das war mein Sohn«, sagte sie zum ersten Mal in ihrem Leben. Irgendjemandem musste sie es sagen, aber mehr würde sie nicht preisgeben.
    Mando verschüttete ihren Cognac.
    »Dein Sohn!«
    Fassungslos starrte sie Vassiliki an, wiederholte immer wieder: »Dein Sohn, dein Sohn!«, rief dann entgeistert: »Du hast ihn getötet!«
    »Hätte ich ihn leben lassen sollen?«
    »Wer war er?«
    »Ein Räuberhauptmann. Ein schlechter Mensch.«
    »Du hast deinen Sohn getötet, um mich zu retten.«
    »Still. Ich will nicht darüber reden.«
    »Aber der grüne Kasten, er wusste …«
    »Still, Mando!«
    Sie verstummte vor Schreck. Noch nie hatte Vassiliki sie bei ihrem Namen genannt. Ruhelos lag sie später im Bett und dachte so lange über das Geschehene und Gesagte nach, bis sie die richtige Erklärung gefunden zu haben glaubte: Vassilikis Sohn, der Räuberhauptmann, musste seiner Mutter vor vielen Jahrzehnten den grünen Kasten anvertraut haben. Aber sie hatte es vorgezogen, mit dem kostbaren Gegenstand zu verschwinden. Irgendwann war sie Nikolaos Mavrojenous begegnet und hatte ihm den Kasten im Tausch gegen eine Lebensstellung gegeben. Diese Erklärung für die Zusicherung ihres Vaters, dass Vassiliki unkündbar wäre, gefiel ihr wesentlich besser als die Befürchtung, die sie früher gehegt hatte.
    Aber vielleicht ging die Geschichte auch ganz anders, dachte Mando und erinnerte sich an das Gerücht von Vassilikis Flucht aus dem Harem. Möglicherweise hatte ihr der Räuberhauptmann dazu verholfen und sie hatte den grünen Kasten mitgehen lassen. Dass sie geübt im Stehlen des grünen Kastens war, hatte sie in den vergangenen Jahren oft genug bewiesen.
    Mando wusste, dass sie noch so viel in Vassiliki dringen konnte, die Dienerin würde ihr nur erzählen, was sie für nötig befand. Wie entsetzlich, dass sie ihren Sohn getötet hatte! Selbst wenn Lambrini der schlechteste Mensch der Welt werden würde – Mando konnte sich nicht vorstellen ihr ein Haar zu krümmen.
    Da wohnen Abgründe in Vassiliki, dachte sie erschrocken, der einzige Mensch, der zu mir hält, hat sein eigenes Fleisch und Blut vernichtet! Andererseits hatte sie Mando dadurch vor einem üblen Schicksal bewahrt.
    Marcus, dachte Mando verzweifelt, du hättest mich retten sollen, als mein Adjutant und Geliebter wäre das deine Aufgabe gewesen. Aber du bist nie da, wenn ich dich brauche!
    Nach der Ermordung von Joannis Kapodistrias brach in Griechenland das Chaos aus. Der Versuch, einem Triumvirat die Regierungsgeschäfte zu überlassen, missglückte.
    »Wie kann man auch erwarten, dass sich Kapodistrias Bruder Augustinos, Jannis Kolettis und der gute Kolokotronis auf irgendetwas einigen können! Das musste ja zu Anarchie führen!«, rief Mando, als sie im Mai 1832 in ihr Bulletin blickte. Sie befand sich schon längst wieder in ihrem Haus in Mykonos und lebte immer noch von dem Geld, das ihr Marcus vor mehr als einem halben Jahr in Nauplia hinterlassen hatte. Es war nicht ausreichend, um davon eine kleine Schule zu finanzieren, und außerdem fühlte sich Mando nicht kräftig genug, um sich mit einer Kinderschar zu umgeben. Lambrini war erst fünf Jahre alt, es würde genügen, wenn sich Mando in zwei Jahren erbot das Kind zu unterrichten. Sie nahm ihre Krankenbesuche wieder auf und verbrachte die Abende damit, Bulletins oder Schriften über die Situation in ihrem Heimatland zu lesen.
    Augustinus Kapodistrias war bereits ins Ausland geflüchtet. Die alte Feindschaft zwischen Kolettis und Kolokotronis hatte einen Bürgerkrieg heraufbeschworen, der zur Errichtung zweier rivalisierender Regierungen geführt hatte, die jeweils von einer Privatarmee gestützt wurden. Auch Mavrokordatos tauchte wieder auf

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