Die Rebellin
sie ja in den nächsten Tagen hinbringen und dann gleich weiter nach Nauplia fahren.«
Sie hatte ihren Besuch angekündigt. Marcus und Anna standen am Hafen, um sie und Lambrini zu begrüßen. Anna, ein kleines, zierliches Persönchen, das Mando an ihre Schwester Irini erinnerte, umarmte die Mykoniatin herzlich.
»Sie wissen gar nicht, was für ein Glück Sie in unser Haus bringen!«, rief sie, nahm Lambrini auf den Arm und drückte sie an sich.
Marcus nickte und küsste Mando die Hand.
Anna konnte ihre Augen nicht von Lambrini lassen, als sie sich später im Salon den Tee servieren ließen.
»Schau, Marcus«, rief sie, »Lambrini hat das selbe glatte Haar wie du, man könnte denken, sie wäre wirklich deine Tochter!«
»Wie alt ist sie?«, fragte er ruhig und sah Mando in die Augen.
Sie wich seinem Blick nicht aus.
»Sie wird sieben im Oktober.«
»Sieben«, wiederholte Marcus und Mando sah ihn rechnen. »Sieben«, sagte er noch einmal, warf Mando einen unendlich traurigen Blick zu und verließ das Zimmer.
»Sie müssen ihn entschuldigen«, wandte sich Anna an Mando, »er ist manchmal etwas geistesabwesend. Aber er freut sich genau wie ich über das Kind, das müssen Sie mir glauben.«
Sie setzte sich neben Mando aufs Sofa und erklärte, wie glücklich sie sei, die berühmte Heldin von Mykonos endlich kennen zu lernen. Sie müsse ihr alles über die alten Zeiten erzählen, denn aus Marcus wäre kaum etwas herauszubringen.
»Manchmal denke ich, dass ihm die Aufregung fehlt«, meinte Anna und flehte Mando an einige Tage bei ihnen zu verbringen.
Mando staunte über sich selber. Sie hatte erwartet bei Marcus' Anblick in Ohnmacht zu fallen, aber es hatte ihr nur einen winzig kleinen Stich versetzt. Es war unmöglich, Anna nicht gern zu haben, und sie ertappte sich sogar bei dem Gedanken, die Kinderlosigkeit des Paares zu bedauern. Es wäre schön, wenn Lambrini mit Geschwistern hätte aufwachsen können.
Marcus kehrte erst am späten Abend nach Hause zurück. Er war so heiser, dass er kaum sprechen konnte und erklärte, dass er sich wohl eine Erkältung zugezogen habe. Er erzählte nicht, dass er mit seinem kleinen Boot weit aufs Meer hinausgesegelt war und stundenlang nicht hatte aufhören können zu schreien.
Er hob Lambrini hoch, setzte sie auf seine Knie und verlor sich in ihren Augen.
»Ist sie ganz gesund?«, krächzte er, ohne Mando anzublicken.
»Marcus!«, rief seine Frau, »du sprichst ja, als ob wir ein Pferd gekauft hätten!«
»Kerngesund«, erwiderte Mando ruhig, »kein bisschen wie der kleine Jorgos aus Lakka.«
»Wer ist das?«, fragte Anna.
»Ein Verwandter von ihr«, erklärte Mando, »der verkauft Lose und ist noch ein richtiges kleines Kind, obwohl er schon über Zwanzig ist.«
Anna nickte verständnisvoll. »Solche Kinder haben wir hier auf Paros auch. Das kann passieren, wenn zwei Leute heiraten, deren Familien miteinander verwandt sind. Aber das ist bei Lambrinis Eltern ja nicht der Fall. Ein Seeräubermädchen!«, lachte sie. »Wer hätte das gedacht!«
Sie nahm Lambrini an der Hand, erklärte, dass sie das Kind jetzt zu Bett bringen und sich danach selber auch hinlegen würde.
»Bitte«, sagte sie zu Mando, »fahren Sie morgen noch nicht ab!«
»Ich kann leider nicht anders«, erwiderte Mando, »ich habe einen wichtigen Termin in Nauplia.«
»Nauplia«, sagte Marcus, als sich die Tür hinter Anna geschlossen hatte. »Diese Stadt hat dir nur Unglück gebracht.«
»Nicht nur«, sagte sie und dachte an das zugestopfte Schlüsselloch.
Dann schwiegen sie, beide von zu vielen Gefühlen überwältigt. Mando staunte, dass sie nicht das Bedürfnis verspürte Marcus in die Arme zu fliegen, ihn abzuküssen und auf den Teppich zu zerren. Ich liebe ihn immer noch, dachte sie erschüttert, vielleicht sogar mehr als früher, jetzt, wo sein Gesicht so zerfurcht und sein langes glattes Haar ganz grau geworden ist. Ja, ich möchte an seiner Brust liegen, seine Falten glatt streichen, seinen Atem auf mir spüren, morgens neben ihm aufwachen und mit ihm im Meer schwimmen. Aber ich kann es nicht. Ich kann ihn nicht anrühren.
Marcus ging es ähnlich. Die Erkenntnis, dass sich Mando monatelang in ihr Haus eingeschlossen hatte, um heimlich sein Kind zu kriegen, war ein Schock für ihn gewesen. Er verstand auf einmal alles, auch warum sie so lange bei Ypsilanti in Nauplia gelebt hatte und was sie sich davon erhofft hatte. Er war zutiefst betroffen, dass sie alles mit sich allein ausgemacht
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