Die Rebellin
sah zu Marmellakis und fragte: »Ich hatte Ihnen damals etwas für Lambrini mitgegeben, besitzen Sie es noch?«
»Der grüne Kasten.« Marmellakis nickte grimmig. »Der ist weg.«
Schon wieder, dachte Mando und wusste nicht, ob sie darüber erleichtert oder unglücklich sein sollte.
»Gestohlen?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Marmellakis und berichtete. Sein Schiff war auf der Rückreise von Nauplia in einen fürchterlichen Sturm geraten. Er, Lena, der Säugling und einer seiner Leute waren von der Mannschaft eines griechischen Schiffs aus dem Wasser gefischt worden, sein Boot, mit allem, was darauf war, auf den Boden der Ägäis gesunken. Auch der grüne Kasten.
Da liegt er gut, dachte Mando.
Mando, die kaum für sich selber sorgen konnte, zerbrach sich den Kopf, wie sie Lambrini ein gutes Leben bieten konnte. Es gab nur eine Lösung. Sie verkaufte ihr Haus und fragte Marcus' Mutter, ob sie wieder bei ihr wohnen könnte. Die alte Frau, die es sehr edel fand, dass sich Mando um die Piratenwaise kümmerte, war begeistert und bot ihr Marcus' alte Kammer an. Lange stand Mando in dem Wandschrank und blickte nach oben. Später zeigte sie Marcus' Mutter ihre Entdeckung und schlug vor Lambrini im Dachzimmerchen unterzubringen und im Schrank eine Leiter anzubringen.
»Dann wird sie nicht durch mich gestört, aber ist doch nah bei mir«, erklärte sie.
Zwei Jahre später flatterte Mando ein langer Brief ins Haus. Er stammte von Theodoros Kolokotronis, der bereits seit Oktober 1833 auf der Palamidi-Festung in Nauplia gefangen gehalten und jetzt wegen Hochverrates zum Tode verurteilt worden war.
»Rechnen Sie aber nicht mit meiner Hinrichtung«, schrieb er. »Das würden die bayrischen Beamten, die unser Land regieren, nicht wagen. Prinz Otto, für den ich mich selber eingesetzt habe und der ein guter Junge ist, hat mir zugesichert, dass er mich am Tage seiner Volljährigkeit und Machtübernahme augenblicklich begnadigen wird. Sie werden gehört haben, lieber Generalleutnant, dass sich unser geschätzter Gegner Jannis Kolettis bei der neuen Administration recht nützlich macht, aber Ministerpräsident ist er trotzdem nicht geworden. Diesen Posten hat unser alter Widersacher Mavrokordatos ergattert. Der Englandfreund im Dienst der Bayern! Wieder einmal wird unser Land von Ausländern regiert, diesmal von einem vierköpfigen bayrischen Regentschaftsrat. Was wissen diese Germanen schon von Griechenland und den Griechen! Graf Josef Ludwig von Armansperg tritt die Ideale unserer Revolution mit Füßen, spielt sich als Herrscher der Hellenen auf, Ludwig von Maurer mag zwar ein tüchtiger Jurist sein, aber ihm fehlt jegliches Verständnis für unser Volk, und Generalmajor Heidegger von Heydeck ist der seltsamste Soldat, der mir je begegnet ist. Er versteht, glaube ich, mehr von der Kunst als vom Kämpfen, von Politik überhaupt nichts und von Griechenland noch weniger. Legationsrat von Abel glaubt ausschließlich an das geschriebene Wort und ist unfähig sich auf ein Land einzustellen, in dem der Handschlag und das gesprochene Wort eines Mannes etwas gelten. Lieber Generalleutnant, sollte Sie dieser Brief erreichen – meine Korrespondenz mit Damen wird aus verständlichen Gründen weniger streng kontrolliert, tun Sie einem alten Mitstreiter den Gefallen und besuchen Sie ihn! Ich möchte wissen, wie es Ihnen ergangen ist, wie es draußen im Lande aussieht, wie es meinen armen Griechen ergeht, die nach so vielem Leid ein besseres Los verdient haben, als von herzlosen bayrischen Beamten zur Ader gelassen zu werden!«
»Kind«, sagte ihre Tante später, »du willst doch nicht etwa Lambrini mit auf die Reise nehmen?«
»Warum nicht?«, fragte Mando.
Marcus' Mutter sah ihre Nichte forschend an, sagte dann: »Ich möchte dir einen Vorschlag machen. Lass mich erst ausreden, bevor du etwas sagst. Ich bin alt, werde nicht mehr lange leben und du kannst dich nicht allein um Lambrini kümmern. Ich hänge an der Kleinen. Auf seltsame Weise erinnert sie mich an meine eigenen Kinder, und ich möchte, dass sie es gut haben wird im Leben. Warum überlässt du das Kind nicht Marcus und Anna? Du würdest den beiden eine große Freude bereiten, denn Anna darf keine Kinder kriegen. Das hat ihr der Arzt nach zwei Fehlgeburten gesagt.«
Mando war aufgestanden und hatte zum Hof hinausgesehen, wo Lambrini die Kleider ihrer Puppe wusch.
»Die Tochter des Bürgermeisters von Paros«, sagte sie leise.
»Genau!«, rief ihre Tante. »Du kannst
Weitere Kostenlose Bücher