Die Rebellin
Zeusstatue wirklich aus jener Zeit stamme, in der das siebente Weltwunder angefertigt worden war. Sollte dies aber der Fall sein, befände sich jetzt im Serail des Sultans ein Gegenstand von unschätzbarem Wert.
Ali Pascha, der schon zu jener Zeit mit dem Gedanken liebäugelte, sich vom Sultan abzunabeln und ein eigenes Reich zu errichten, musste den Kasten zurückhaben. Die ganze Welt würde an seinen Hof in Tepelenë kommen, um eine möglicherweise von Phidias selber angefertigte authentische Nachbildung des Weltwunders zu sehen. Dies würde ihm endlich die internationale Anerkennung verschaffen, der seine Vergangenheit als Räuberhauptmann bisher im Wege stand. Er beriet sich mit seinen Söhnen.
Alle wussten, dass die Mauern des Serails undurchdringbar waren, seine Räume wie ein Labyrinth, in dem selbst Ariadne mit ihrem Wollknäuel verloren gegangen wäre und dass ein Außenstehender nicht einmal in die Nähe des Harems kommen könnte. Die einzige Hoffnung waren die Gärten hinter der Beschneidungshalle und dem Pavillon von Bagdad, wie Ali Pascha von einer alten Kreolin erfuhr, die Jahre zuvor wegen besonderer Verdienste aus dem Harem freigelassen worden war. Wenn es irgendeiner Frau gelingen konnte, den Kasten dort einem bestochenen Eunuchen auszuhändigen, bestand Hoffnung ihn entfernen zu können.
Es war Selim, der die Idee hatte seine Mutter mit dieser gefährlichen Aufgabe zu betrauen. Vassiliki wusste, dass dahinter der Gedanke stand, ihrer peinlichen Gegenwart für alle Zeiten enthoben zu sein, und das brach ihr das Herz. Sie hatte allen Lebenswillen verloren, keine Angst hingerichtet zu werden, und vielleicht war das der Grund, weshalb der Plan vorzüglich funktionierte. Allerdings mit einer kleinen Abweichung. Dem bestochenen Eunuchen hatte sie einige der goldüberzogenen Pastillen gegeben, mit denen sich die Frauen des Sultans den Opiumrausch verschafften, und dann war sie in seine Kleider geschlüpft und auf verblüffend einfache Weise aus dem Harem gelangt.
Sie wusste allerdings, dass sie mit dem schweren Kasten, den sie in einem Handkarren unter den zu verbrennenden Monatstüchern der Haremsbewohnerinnen verborgen hatte, nicht weit kommen würde, und so sprach sie auf gut Glück einen Griechen an, der ihr nahe des Palasts begegnete. Dies war Nikolaos Mavrojenous. Sie händigte ihm den Kasten aus, erhielt dafür seine Protektion und eine Stellung auf Lebenszeit. Nikolaos hielt sein Wort. Auch Zakarati erfuhr von ihm nur, dass Vassiliki aus dem Harem geflüchtet sei und deshalb bei Besuchen türkischer Gäste nicht in Erscheinung zu treten habe. Alles war gut gegangen, bis zu jenem furchtbaren Tag, aber an den wollte Vassiliki jetzt nicht denken.
Dazu war auch keine Zeit, denn heftiges Klopfen an der Eingangstür schreckte sie auf. Sie erstarrte, als sie Dimitri Ypsilantis Stimme erkannte, rief atemlos durchs Schlüsselloch: »Verhaltet euch still, der Prinz ist da!«, und öffnete die Tür.
Mademoiselle Mando wäre bereits in ihrem neuen Domizil, teilte die Dienerin dem Besucher mit einem ungewöhnlich freundlichen Lächeln mit. Dimitri dankte ihr und verabschiedete sich frohen Mutes. Ihm war am vergangenen Tag aufgefallen, wie nahe Mando dieser Magd offensichtlich stand, und er vermutete, dass sie ihre Amme gewesen war. Auch er hegte noch zärtliche Gefühle für die Frau, die ihn an Mutters statt an die Brust gehalten hatte.
Er hoffte, dass sich Mando von der schlechten Nachricht des Vortages erholt hatte. Nie würde er ihr verraten, dass ihr neues Haus keine Gabe der Regierung war, sondern dass er es für sie gekauft hatte.
Er hatte sich persönlich bei Mavrokordatos für Mando eingesetzt, aber dieser hatte ihn mit der Bemerkung abgewiesen, niemand habe die Mykoniatin gezwungen ihr Vermögen für den Befreiungskampf einzusetzen und im Übrigen strebe sie ja mit ihm, Prinz Ypsilanti, einer finanziell sorglosen Zukunft entgegen. Außerdem wisse er aus sicherer Quelle, dass Mando keineswegs völlig mittellos sei, sie besitze immer noch mehr Schmuck und Wertsachen als die meisten griechischen Aristokratinnen, deren Männer am Freiheitskampf teilnahmen. Wisse Ypsilanti denn nicht, dass sich in ihrem Besitz das mit Diamanten besetzte Schwert Konstantin des Großen befände, das sie bei einem Verkauf sämtlicher finanzieller Sorgen entheben würde?
Auch Kolokotronis war es nicht geglückt, Mavrokordatos umzustimmen. Allerdings vertröstete er Ypsilanti mit dem Hinweis auf den geplanten Putsch.
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