Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
dann Einkäufe und Finanzgeschäfte erledigt, sich identifizieren können und sich auf Websites angemeldet. Der Strichcode hätte Dokumente wie Personalausweis, Sozialversicherungsschein, Geburtsurkunde und Studentenausweis ersetzt – durch dieses System wäre die persönliche Identität nicht länger an eine Adresse, ein Bild oder auch nur einen Namen geknüpft gewesen.
Doch was für die Demonstranten das Fass zum Überlaufen brachte war der Kommentar der Regierung, wie praktisch es für Eltern sein würde, ihre Kinder mit einem Strichcode zu versehen. Zusätzlich zu dem Vorteil, jederzeit identifizierbar zu sein, konnte das Implantat auch zur Überwachung eingesetzt werden. Von nun an würden Eltern online per Satellit überprüfen können, wo sich ihr Kind gerade aufhielt. Aber das Gleiche galt auch, wie die Anführer des Protests betonten, für die Behörden, die Regierung und überhaupt jede neugierige Person. Die Privatsphäre und die Freiheit des Einzelnen würden noch weiter eingeschränkt werden. Deshalb brachen in Washington Unruhen aus und Hunderte starben in einer Massenpanik.
»Deine Eltern haben das mitorganisiert?«
Er nickte. »Und zum Glück hat sich ihr Einsatz gelohnt, denn das Gesetz wurde zu Fall gebracht. Aber es hat viel zu viele Menschenleben gekostet, die Regierung zu überzeugen.«
Ich wollte wissen, wo Justin während dieser ganzen Zeit gelebt hatte.
»Überall und nirgends«, sagte er. »Aber bei Jake bin ich am häufigsten untergekrochen. Seine Eltern sind meine Paten und so haben mich die Solvis gewissermaßen adoptiert. Als wäre ich ein Scheidungskind mit geteiltem Sorgerecht und würde mal hier, mal dort wohnen.«
Ich runzelte die Stirn. »Bestimmt war es schwer, fast ohne deine Eltern aufzuwachsen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, war es nicht«, sagte er überzeugt. »Ich bin unglaublich stolz auf sie. Deshalb würde ich nichts ändern wollen, selbst wenn ich es könnte.«
»Das behauptest du jetzt, aber hat es sich genauso angefühlt, als du jünger warst? Zu Weihnachten, an deinem Geburtstag, oder wenn sie in den Ferien nicht da waren, sondern im Gefängnis saßen?«
Er lächelte verhalten. »Ich bin dazu erzogen worden, immer zuerst an andere zu denken, und nicht an mich selbst. Man kann eine Menge in der Welt verändern, wenn man seine Energie auf seine Mitmenschen konzentriert, anstatt für den eigenen Vorteil zu arbeiten.«
Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr zurück. »Wie lange waren deine Eltern im Gefängnis?«
»Das erste Mal? Knapp zwei Jahre.«
Ich nickte verständnisvoll, aber sein Blick verhärtete sich nur, und er sagte: »Ich kenne niemanden, der mutiger ist als meine Eltern. Sie haben mir alles beigebracht, an das ich glaube. Die meisten Leute reden doch nur groß daher. Aber um etwas zu bewegen, muss man die Verantwortung auf sich nehmen und aktiv werden. Das habe ich von meinen Eltern gelernt.«
»Siehst du sie manchmal?«
Er nickte. »Ich besuche sie, wann immer ich kann.«
»Aber du hast kein Zuhause?« Mein ganzes Leben lang hatteich nichts anderes gekannt als meine eigenen vier Wände, mein eng begrenztes Zimmer, meine Insel der Sicherheit.
Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und meinte, darüber würde er nie viel nachdenken. »Für die meisten Leute ist ihr Zuhause der Ort, wo sie herkommen. Aber ich betrachte es eher als einen Ort, den man erst finden muss, als könne man verstreute Stücke davon hier und da einsammeln.«
Verwundert schüttelte ich den Kopf.
»Was?« Justin betrachtete mich interessiert.
»Ich bin einfach noch nie auf die Idee gekommen, dass man so leben könnte.«
Er zuckte mit den Schultern. »Du bist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Familie, Liebe, Nähe automatisch bedeuten, abgeschirmt zu werden. Als müsse man die Menschen, die einem etwas bedeuten, immer nah bei sich haben, damit die Gefühle nicht nachlassen. Aber in Wirklichkeit geht es dabei doch nur um Kontrolle. Man verschanzt sich hinter durchsichtigen Mauern. Für mich bedeutet Liebe, dass man Menschen genug traut, um sie gehen zu lassen. Familie ist nichts eng Umgrenztes, und die Gefühle, die man für sie hat, lassen sich auf andere ausdehnen und überallhin mitnehmen.«
Ich wollte seine Worte mit allen Poren in mich aufsaugen. Ich wollte sie wie auf einer unlöschbaren Festplatte in mein Gehirn einbrennen, sodass sie jederzeit abrufbar waren, wenn ich sie brauchte.
»Hattest du nie das Gefühl, dass deine Eltern sich …
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