Die Rebellion
Höflinge folgten
dem Schauspiel gebannt. Jeder wußte, daß es nicht für immer
so weitergehen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von beiden den ersten Fehltritt machte, und anschließend
würden Blut und Tränen fließen.
Seit Monaten wurden Wetten deswegen abgeschlossen.
Valentin Wolf stand ein wenig allein mitten in der Menge,
aber das war nicht ungewöhnlich. Er war das Oberhaupt der
Ersten Familie von Golgatha , und sein Wort war Befehl für
Tausende, doch Valentin besaß keine Freunde und niemanden,
der von sich sagen konnte, ihm auch nur halbwegs nahezustehen. Valentin gab einen feuchten Dreck darauf. Es war ihm
egal, und es war ihm schon immer egal gewesen. Valentin hatte
sich selbst immer schon als unendlich bessere Gesellschaft
empfunden als jedes andere Lebewesen in seiner Umgebung.
Und wenn man seine fortgesetzten Experimente mit jeder einzelnen Droge bedachte, die je unter irgendeiner Sonne gewachsen war – einschließlich einiger, die nur in der Dunkelheit
wuchsen –, dann reichte sein Innenleben mit Sicherheit mehr
als aus, um Valentin selbst in den stillsten Augenblicken zu
beschäftigen.
Valentin war groß und schlank und auf düstere Weise sensibel, wie ein Dämonenprinz aus einem Märchen, nur noch unwirklicher. Sein Gesicht war lang, schmal und von einer vollkommenen Blässe. Valentins unnatürlich helle Augen wurden
von schwerem Make-up eingerahmt, und ein in dickem Purpur
aufgemaltes Lächeln war der einzige Ausdruck, der je auf seinem Gesicht zu erkennen war. Pechschwarzes Haar fiel in langen Locken, die niemals einen Kamm gesehen hatten, bis auf
seine Schultern. Er trug dunkle Kleidung mit einem gelegentlichen Farbklecks, im Augenblick vorzugsweise Rot, und ignorierte die vergänglichen Diktate der Mode mit unerreichter
Gleichgültigkeit. Valentin Wolf hatte zu seiner Zeit jede Droge
selbst ausprobiert, die der Menschheit bekannt war, und er beschäftigte einen ganzen Stab eigener Chemiker, die ständig
neue Drogen für ihn entwickelten. Man erzählte sich allen Ernstes, daß es keine einzige Chemikalie gab, die Valentin noch
nicht ausprobiert habe. Jeder, der die Vielfalt und Menge an
Drogen zu sich genommen hätte, die Valentin zu konsumieren
pflegte, wäre ohne Zweifel schon dutzendmal an Vergiftung
gestorben, das Gehirn zu einem Haufen toter Zellen geschrumpft; aber durch irgendein geheimnisvolles Wunder
wuchs und gedieh Valentin sogar prächtig. Und wenn er die
Welt mit anderen Augen sah als seine Zeitgenossen und hin
und wieder eine angeregte Diskussion mit Leuten führte, die
niemand außer ihm sehen konnte, dann machte es ihm nichts
aus und behinderte ihn in keinster Weise. Und mit Sicherheit
machte es Valentin keine Spur weniger ehrgeizig, scharfsinnig
und brandgefährlich.
Doch Valentin wußte, daß selbst er nicht ewig so weitermachen konnte, ohne einen Preis dafür zu zahlen. Die besten Arzte des Imperiums kümmerten sich um ihn, und er ruhte häufig
in seiner persönlichen Regenerationsmaschine. Dennoch nagten der fortwährende Drogenkonsum, zusammen mit einem nie
enden wollenden Druck wegen seiner zahllosen Intrigen,
schwer an Valentins sorgfältig und mühevoll erarbeiteter
Selbstkontrolle. Der Wolf verbrauchte sich von innen heraus,
und sein einziger Gedanke war, noch mehr Chemikalien ins
Feuer zu werfen. Als Ergebnis stand er nun mit so übernatürlich scharfen Sinnen an seinem Platz, daß er am ganzen Leib
vor Erwartung zitterte. Valentins Geist war so unglaublich weit
geöffnet, daß er die Körpersprache anderer wie ein gedrucktes
Wort lesen konnte, und jede noch so bedeutungslose Geste
schrie ihm förmlich neue Einzelheiten zu. Pläne, Verschwörungen und Bruchstücke von Ideen blitzten in seinem Bewußtsein auf, hell wie das Leuchten eines Gewitters. Sein Körper
mochte fest an seinem Platz unter all den anderen Höflingen
stehen, doch Valentins Bewußtsein war hier und dort und überall zugleich. Er ritt auf den Wellen seiner Gedanken wie ein
Artist mit perfekter Balance, und er blickte aus der schwindelerregenden Höhe einer endlosen Woge herab. Es war ein äußerst belebendes Gefühl, aber Valentin verlor nicht einen Augenblick lang die Kontrolle. Oder falls doch, dann bemerkte es
niemand.
Valentin war noch immer davon überzeugt, daß es möglich
sein mußte, ein vollkommenes Gleichgewicht zwischen den
erwünschten und den unerwünschten Wirkungen von Drogen
zu finden, wenn er nur die richtige Mischung
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