Die Rebellion
die beiden Reporter durch
die Lücke getreten waren, schob die Schwester den Schirm
hinter ihnen wieder an seinen Platz. Die abgegrenzte Fläche
dahinter war gerade groß genug, um einem Feldbett, einer
Waschschüssel auf einem Gestell und einem Schreibtisch Platz
zu bieten. Am Schreibtisch saß die Mutter Oberin Beatrice in
einem langen seidenen Hausmantel mit durchgescheuerten
Säumen und ausgebeulten Ellbogen. Sie wirkte blaß und erschöpft, das hellrote Haar brutal abrasiert, doch ihre Augen
blickten warm, und ihr Willkommenslächeln schien ehrlich
gemeint. Hinter ihr hing an einem Hutständer die offizielle
schwarze Robe mit der gestärkten Haube, beinahe, als befände
sich noch eine vierte Person in dem beengten Raum. Beatrice
stand nicht von ihrem Stuhl auf, doch sie reichte Toby zum
Gruß die Hand. Ihr Händedruck war kurz, aber fest. Sie wandte
sich zu Flynn, der sich über ihre Hand beugte und sie küßte.
Beatrice’ Lächeln wurde breiter.
»Wenn Ihr wüßtet, was ich vor weniger als einer halben
Stunde mit genau dieser Hand getan habe, würdet Ihr jetzt zur
Toilette rennen und mit Schwefelsäure gurgeln.« Sie wandte
sich wieder Toby zu. »Ich freue mich, Euch beide zu sehen. Ich
war nicht sicher, ob Ihr kommen würdet. Alle anderen, die ich
gefragt habe, verspürten keine Lust, sich die Finger zu
verbrennen.«
»Ich bin mir da auch nicht so sie her«, antwortete Toby. »Es
kommt ganz darauf an, was Ihr mir zu sagen habt. Macht es
Euch etwas aus, wenn mein Kameramann unsere Unterhaltung
mitschneidet?«
»Natürlich nicht. Genau aus diesem Grund habe ich Euch
beide gebeten zu kommen. Nehmt auf dem Bett Platz. Wir haben leider nicht mehr genügend Stühle, und wenn Ihr steht,
seid Ihr zu sehr im Weg.«
Beatrice lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, und Toby ließ
sich vorsichtig auf der Pritsche nieder. Sie fühlte sich hart und
unbequem an. Flynn blieb stehen und bewegte sich leise hierhin und dorthin, um gute Aufnahmewinkel für seine Kamera zu
finden. Toby ignorierte ihn. Flynn würde sich um alle technischen Einzelheiten kümmern. Toby war der Reporter, und seine Aufgabe war das Interview und alles, was er an Informationen aus ihm herausziehen konnte. Mutter Beatrice war berüchtigt für ihre Freimütigkeit, aber das war stets im Schutz des
Hofes gewesen, weit weg vom Blut und dem Sterben an den
Frontlinien. Man sagte, sie habe sich nach ihren ersten Erlebnissen in einem Feldlazarett sehr verändert, doch die meisten
dieser Geschichten stammten aus zweiter Hand. Außerdem war
Toby nicht sicher, ob er noch an Heilige glauben sollte. Er beschloß, mit einem einfachen, unverfänglichen Thema zu beginnen.
»Mir scheint, Euer Hospital ist ziemlich überfüllt, Schwester
Beatrice. Sicher war dieses Zelt nicht dazu gedacht, so viele
Menschen zur gleichen Zeit aufzunehmen?«
»Zur Hölle, nein! Es soll höchstens ein Drittel soviel Patienten aufnehmen, doch das haben sich zivilisierte Menschen in
zivilisierten Gegenden überlegt. Und nennt mich Bea. Ich habe
nämlich frei. Wir sind bis unter die Decke belegt, weil sich die
Dinge in den letzten Auseinandersetzungen sehr zuungunsten
der Wolfs entwickelt haben. Die Kampflinie bewegt sich auf
der Karte vor und zurück. Sie ertrinkt im Blut der Gefallenen.
Natürlich sind einige unserer Patienten Rebellen. Die Barmherzigen Schwestern dienen allen Seiten ohne Unterschied. Ganz
gleich, wie groß der Druck ist, den man auf uns ausübt.«
Toby hob eine Augenbraue. »Wissen die Wolfs, daß Ihr Rebellen behandelt?«
»Ich habe es ihnen nicht gesagt. Nicht nach der Reaktion, die
sie zeigten, als ich das Thema zum ersten Mal angesprochen
habe. Ich plane zwar, sie davon in Kenntnis zu setzen, doch
irgendwie kommt mir immer etwas dazwischen. Ich wüßte
außerdem auch gar nicht, was es sie angeht. Sie versorgen uns
nur mit dem Allernotwendigsten, selbst für ihre eigenen Leute.
Wir sind ein gutes Stück von jeder Zivilisation entfernt, und
die Transportkosten sind unverschämt hoch. Also mache ich
meine Arbeit, wie ich es für richtig halte. Wir tun, was wir
können. Päppeln die Leute auf und schicken sie weg. Oft sehen
wir die gleichen Gesichter zwei- oder dreimal, und jedesmal
bluten sie an einer anderen Stelle. Kaum häufiger als dreimal.
Viele ertragen den Schock nicht. Zuviel Notchirurgie. Andere
… sie geben einfach auf. Es ist ein harter Krieg und eine rauhe
Welt. Wir bekommen nicht viele Fleischwunden zu
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