Die Rebenprinzessin
hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen.
Bella wollte nicht abwarten, bis er sich wieder erholte und womöglich auf die Idee kam, ihr Gewalt anzutun. Sie stellte den Becher ab, sprang vom Stuhl und lief an den Mägden, die peinlich berührt den Kopf senkten, aus dem Raum. Obwohl sie fest damit rechnete, gleich die wütende Stimme ihres Vaters hinter sich zu hören, hallten nur ihre Schritte den Gang zu ihrer Kemenate entlang.
Martin hielt inne und blickte hinauf zur Burg, die sich dunkel auf dem Berg erhob. Von Koblenz zurückzukehren, war nicht ganz einfach gewesen, zumal er sich nicht hatte verspäten wollen.
Schließlich hatte er einen Ochsenkutscher getroffen, der gewillt war, ihn mitzunehmen. Allerdings war die Reise auf dem Wagen ziemlich unkomfortabel und ging nur langsam voran, weshalb Martin sich fühlte, als würde er jeden Augenblick vor Ungeduld platzen.
Dann erreichte er endlich sein Ziel. Hier wurde ihm die Zeit zwar nicht durch Glockenschlag angezeigt, doch er glaubte auch so zu wissen, dass die Mitternachtsstunde nahte.
Während er sich an den Aufstieg zum Weinberg machte, fragte er sich, ob Bella wirklich kommen würde. Sein Herz sagte ihm klar ja, sein Verstand dagegen wies ihn immer wieder darauf hin, dass der Graf seine Tochter durchaus einsperren könnte. Wird sie eine Möglichkeit finden, zu entkommen?, fragte er sich.
Bald tönte ihm das altbekannte Rascheln des Weinberges entgegen. Sofort musste er an den Ableger denken – und daran, dass er Giacomo nun schon zum vierten Mal versetzt hatte. Konsequenzen hatte er deswegen noch nicht zu spüren bekommen, aber er war sicher, dass der Italiener seinem Vater von seinem Ausbleiben berichtet hatte.
Als er zwischen die ersten Rebstöcke eintauchte, beschloss er, zunächst nach dem Ableger zu sehen. Warum mache ich das noch?, fragte er sich, als er dem Abschnitt mit den neuen Reben zustrebte. Für meinen Vater? Würde ihm die Information, dass Rudolph von Katzenburg eine neue Rebsorte hatte, nicht reichen? Natürlich hatte er ihm einen Ableger versprochen, aber sein Vater wusste selbst, dass dieser Zeit brauchte. Dass man ihn aus der Burg geworfen hatte, war ja nicht seine Schuld!
Doch dann kam ihm die Antwort unvermittelt in den Sinn. Ich tue es nicht für meinen Vater. Ich tue es für mich. Und für Bella. Auch wenn es jetzt noch unwirklich erscheint, vielleicht ermöglicht uns der Weinstock irgendwann einmal, neu anzufangen und den erbitterten Streit, der unsere Familien entzweit, zu vergessen.
Den ganzen Abend über hatte Bella damit gerechnet, dass ihr Vater sich noch einmal bei ihr blicken lassen würde. Unruhig war sie auf und ab gegangen und hatte sich schließlich zu Bett begeben.
Der Graf war ausgeblieben. Damit war klar, dass sich Bella auch Odas Schweigen hinreichend erkauft hatte.
Als es in der Burg ruhig geworden war, gab es nur noch einen Schritt, den sie tun musste.
Die Grafentochter erhob sich von ihrem Bett, holte das Seil darunter hervor und ging damit zum Fenster. Der Wind wehte ihr harsch entgegen, als sie einen der Flügel öffnete. Hinter ihr blähten sich die Vorhänge, und ein leises Rascheln wie von herabfallendem Papier ertönte.
Fast fürchtete Bella, dass jemand es hören könnte, doch nachdem sie ein paar Momente mit angehaltenem Atem neben dem Fenstergeviert verharrt hatte, war sie sicher, dass Heinrich Oldenlohe nichts bemerkt hatte. Rasch machte sie das Seil am Fensterkreuz fest und ließ es dann hinunter.
Die Erinnerung an das Glockenseil des Klosters stieg wieder in ihr auf. In ihrer Anfangszeit dort hatte sie sich zusammen mit der Novizin Anna den Spaß gemacht, im Glockenturm über das Seil in das Innere der Glocke zu klettern. Bella hatte mit Anna gewettet, dass sie es schaffen würde, den Klöppel zu berühren. Bis zur Mitte war sie gekommen, als die Glocke schließlich losging.
Das Resultat war nicht nur die verlorene Wette und Schelte von der Mutter Oberin, sondern auch viele Tage Böden schrubben, Latrinen ausschöpfen und sonstige Tätigkeiten, die die Schwestern nur ungern verrichteten. Einen Brief an ihren Vater hatte es auch gegeben, aber wie so oft hatte sich Rudolph von Katzenburg nicht dazu geäußert.
Sie drängte die Erinnerungen beiseite und erklomm das Fensterbrett. Der Weg nach unten, das wusste Bella, war leichter, immerhin hatte sie ihn mit dem Laken schon einmal hinter sich gebracht. Was sollte bei Tag anders sein als in der Nacht? Dennoch überkam sie ein mulmiges
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