Die Rebenprinzessin
Tag nach ihrer Rückkehr aus Koblenz war Bella von Unruhe erfüllt. Ihre Hände waren eisig, während ihre Wangen wie Schmiedekohlen glühten. Würde ihr Plan gelingen?
Schon während der Fahrt hatte sie überlegt, wie sie es am besten anstellen sollte. Seltsamerweise überkam sie nun, da ihre nächtlichen Wanderungen ein Ziel finden sollten, eine gewisse Befangenheit. Was, wenn jemand sie beobachtete?
Doch dann zwang sie sich zur Ruhe. Wer sollte um die dritte Stunde schon auf den Beinen sein? Und selbst wenn, derjenige würde nichts anderes sehen als sie, wie sie in den Weinberg ging. Dass sie hoffte, Martin dort wieder zu küssen, wusste ja niemand.
Es war nicht ganz leicht gewesen, an das von Martin versteckte Seil zu kommen. Bella hatte lange auf Oda einreden müssen, bis sie es ihr geholt hatte.
»Verzeiht, aber was wollt Ihr damit?«, fragte die Magd ängstlich. Wahrscheinlich ahnte sie, dass Bellas Vorhaben dem Grafen nicht gefallen würde.
»Ich will es aufbewahren«, entgegnete Bella, wohl wissend, dass sie Oda auch einfach den Befehl erteilen konnte. Aber ihr war auch klar, dass die Magd dann vielleicht zum Grafen laufen und ihm davon berichten würde.
Aber Oda lenkte ein. »Wie soll ich das Seil finden?«, fragte sie.
»Es ist dick genug, einen ganzen Menschen zu tragen, und unter der Tränke in der Scheune versteckt.«
Oda wollte sich schon umwenden, doch Bella hielt sie fest. »Mein Vater darf davon nichts erfahren, hörst du? Sprich am besten mit niemandem darüber.«
Die Magd nickte und erschien eine halbe Stunde später mit dem Seil, das sie in einen Korb gepackt hatte. Bella schenkte ihr als Dankeschön eine Münze und ein Haarband.
Die Stunden bis zum Abend verrannen zäh, und beim Abendessen, das Bella diesmal wieder mit ihrem Vater zusammen einnahm, musste sie sich zwingen, einen Bissen herunterzubekommen.
Zwar war ihr Vater es gewöhnt, dass sie seit der Ankunft Roland von Hohensteins nicht besonders viel aß, aber da hatte sie nicht so leuchtende Augen gehabt wie jetzt, wie sie entsetzt im Spiegelbild ihres Weinbechers erkennen musste.
»Ist dir nicht wohl?«, fragte der Graf, ohne von seiner Silberplatte aufzusehen.
»Doch, natürlich ist mir wohl, Vater«, antwortete Bella und stürzte schnell einen Schluck Wein hinunter.
»Du wirkst ein bisschen unruhig. Fast so, als würdest du Fieber bekommen.«
Wirkte sie tatsächlich so? Noch einen prüfenden Blick in den Weinbecher konnte sie nicht werfen, denn sie hatte ihn bereits mit ein paar kräftigen Zügen vollkommen geleert.
Also winkte sie Oda herbei, die wie immer den Wein ausschenkte, und ließ den Becher erneut füllen. »Ich habe kein Fieber, und ich fühle mich auch nicht krank«, antwortete sie dann. »Aber vielleicht liegt es daran, dass der Fürst von Hohenstein nicht mehr hier ist. Ich finde, seitdem ist die Luft merklich besser geworden.«
Ihr Vater stieß ein empörtes Brummen aus, dann schlug er auf den Tisch. »Weißt du eigentlich, welche Chance du da vertan hast?«, brauste er so laut auf, dass Bella vor Schreck beinahe der Becher entglitten wäre. »Der Fürst von Hohenstein ist ein einflussreicher Mann. Er hätte dich in den Hochadel eingeführt.«
»Ja, nachdem er mir beinahe vor der Zeit etwas anderes eingeführt hätte!«, entgegnete die Grafentochter und war im nächsten Augenblick selbst über ihre freie Rede erschrocken. So etwas hätte sie sich vor einigen Tagen ganz gewiss nicht erlaubt.
Vielleicht ist es der Wein, dachte sie, und nahm ungeachtet dessen, dass das Getränk sie vielleicht zur Frechheit anstiftete, einen weiteren Zug.
Ihr Vater war einen Moment lang sprachlos, und sein Gesicht glühte hellrot wie junger Rotwein. »Wer hat dich solche Worte gelehrt?«, brüllte er dann.
Bella war nur froh, dass er weit entfernt von ihr saß, sonst hätte sich der Schwall Speichel, der aus seinem Mund spritzte, wohl in ihren Becher ergossen.
»Ist das etwa die Lehre der Mutter Oberin?«
Die junge Frau blickte auf. Sie spürte, dass der Wein ihren Blick glühen ließ. Vielleicht mehr, als es gut war, denn eigentlich brauchte sie zur Flucht aus der Burg sämtliche Sinne. Doch immerhin verlieh er ihr genug Mut, um zu sagen: »Hättest du denn einen Schwiegersohn gewollt, der deiner Tochter die Unschuld vor der Hochzeit genommen hätte? Wer weiß, vielleicht hätte der Fürst es sich anders überlegt und mich in Schande zurückgelassen!«
Rudolph von Katzenburg sagte darauf nichts. Sein breiter Brustkorb
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