Die Rebenprinzessin
will gesehen haben, dass der Bursche bei ihr war, den Ihr vor einigen Tagen fortgeschickt habt«, fuhr Heinrich Oldenlohe nach kurzer Überlegung fort.
Rudolph von Katzenburg hatte sofort ein Bild vor Augen. Der unverschämte Kerl, der seine Tochter im Weinberg angesprochen hatte und der den Fürsten angegriffen hatte.
In den vergangenen Tagen hatte der Graf so etwas wie Bedauern verspürt, dass er den Jungen gestraft hatte, denn ohne ihn hätte Roland von Hohenstein tatsächlich seine Tochter geschändet. Aber sein Stolz war zu groß, um das zuzugeben – erst recht gegenüber Bella!
Ich hätte sie im Kloster lassen sollen, durchzuckte es ihn. Ich hätte sie dort einfach vergessen sollen. Dann wäre sie jetzt in Sicherheit, und ich hätte meinen Seelenfrieden.
»Nehmt die Hunde, Herr Oldenlohe«, wandte er sich an seinen Boten, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Lasst sie an etwas riechen, das meiner Tochter gehört. Und dann sucht sie und bringt sie mir zurück.«
»Was soll mit dem Jungen geschehen?«
Rudolph von Katzenburg ließ sich nur einen Herzschlag Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. »Tötet ihn!«, sagte er dann.
Seit sie den Weinberg hinter sich gelassen hatten, gingen Bella und Martin schweigend nebeneinander. Zu viele unterschiedliche Gedanken kreisten in ihrem Verstand, außerdem fürchteten beide, das kleinste Wort könnte ihren Plan zum Scheitern verurteilen.
So war die einzige Verständigung zwischen ihnen das gleichförmige Knirschen der Kiesel unter ihren Schuhen. Aber das schien ihnen zu genügen. Vor ihnen lag die Dunkelheit, die der beginnende Morgen an den Rändern bereits auffaserte. Wenn sie erst einmal über den Fluss übergesetzt hatten, konnten sie ein neues Leben beginnen – und auch wieder miteinander reden.
Doch bei der Stille blieb es nicht.
Lauter Hufschlag zerstörte die morgendliche Stille, Äste knackten, und Büsche raschelten, als die massigen Pferdeleiber durch das Laub brachen, und dazwischen klirrte Waffenstahl. Eine Hundemeute begleitete die Reiter kläffend und scheuchte die Waldtiere zurück ins Unterholz.
Bella wusste nur zu gut, was das zu bedeuten hatte.
»Wir müssen den Weg verlassen!«, rief sie Martin zu, der angesichts der Geräusche erstarrt war. »Schnell, sonst finden sie uns!«
Sogleich stürmte der Bursche los, fasste Bella bei der Hand und zog sie mit sich. Sie verließen den Weg und schlugen sich ins Unterholz.
Noch nie zuvor in ihrem Leben war Bella von solch großer Angst übermannt worden. Nicht einmal in dem Augenblick, als Roland von Hohenstein sie in den Stall gezerrt hatte. Sie wusste, was ihnen blühte, wenn die Häscher ihres Vaters sie erwischten. Besonders Martin würde es hart treffen. Der Graf würde diesmal keine Gnade mit ihm haben und ihn einfach umbringen lassen.
»Wäre es nicht besser, wenn wir uns verstecken?«, fragte Martin, während sie weiter in Richtung Fluss rannten.
Die Zweige der umstehenden Büsche peitschten ihnen entgegen, als wollten sie die beiden aufhalten.
Bevor Bella Martins Frage beantworten konnte, trat sie fehl und fiel ins Laub. Der Junge wäre beinahe mitgerissen worden, schaffte es allerdings, auf den Füßen zu bleiben.
Bella stöhnte auf, als Martin an ihr zerrte, aber sie fing sich kurz darauf wieder. Noch ein wenig humpelnd, setzte sie ihren Weg fort, und Martin sah nun ein, dass sein Vorschlag dumm war. Es gab kein Versteck, an dem die Hunde sie nicht fanden. Doch auch Davonlaufen nützte ihnen nicht viel. Die Geräusche schienen sie mittlerweile wie drohende Hände zu umschließen.
»Sie werden uns kriegen, heilige Mutter Gottes hilf uns!«, flüsterte Bella mit vor Angst weit aufgerissenen Augen. Heftige Atemzüge schnürten ihr Brust und Hals zusammen, und nur schwerlich konnte sie gegen das kraftlose Zittern in ihren Gliedern ankämpfen. Ihre Knie schmerzten noch immer von dem Sturz, aber das war nichts gegen die Furcht, die in ihren Eingeweiden um sich biss.
»Das werden sie nicht«, entgegnete Martin, während er den Weg zurückblickte, den sie gekommen waren. Dabei tastete er nach ihrer Hand, die so eiskalt und feucht war wie die einer Wasserleiche. Er umschloss sie fest und sah Bella tief in die Augen. »Hörst du, sie werden uns nicht erwischen!«
Bellas Miene blieb zweifelnd. Doch Zeit, um sich darüber zu streiten, hatten sie nicht. Die Anlegestelle konnte nicht mehr weit entfernt sein, und hinter ihnen wurden die Geräusche lauter.
Wie lange werden wir uns
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