Die Rebenprinzessin
von der Kälte und den Frauen.
Schnell huschte Martin zu der schweren Bohlentür, die den Zugang zum Weinkeller schützte. Nachdem er sich noch einmal zu den Wächtern umgedreht hatte, nahm er die neben der Tür befestigte Fackel aus ihrer Halterung und schob den Riegel zurück.
Der saure Geruch, der ihm beim Eintreten entgegenströmte, hätte ihn beinahe von den Füßen gerissen. Dann jedoch verfeinerte er sich und wurde zu dem altbekannten Aroma, das Martins Kindheit geprägt hatte. Most und Maische gärten in den Fässern, und kurz blitzte in ihm die Erinnerung an die Fässer auf, die er in der Katzenburg hatte schrubben müssen. Doch er drängte sie schnell beiseite und strebte an einigen riesigen Fässern und der »Schatzkammer« vorbei zu einer kleinen Tür, die man leicht auf den ersten Blick übersehen konnte. Sie war niedrig und wurde von innen mit einem Riegel verschlossen gehalten. Martin wusste, was sich dahinter befand.
»Dies, mein Junge, ist die Sicherheit für unsere Familie«, hatte ihm sein Vater einst erklärt, als er zufällig auf die Pforte gestoßen war und hatte wissen wollen, wohin sie führte. »Kein Geringerer als dein Urgroßvater hat diesen Gang angelegt. Sollten wir je von Feinden überrannt werden, wird dies der einzige Weg sein, unsere Familie zu retten.«
Martin lächelte vor sich hin, als er die Ansprache wieder im Ohr hatte. Ihm kam mit einem Mal auch wieder in den Sinn, dass er sich damals gefragt hatte, warum sie aus der Burg flüchten sollten, wo es hier doch viel sicherer war. Inzwischen hatte er seine Ansichten überdacht und war froh über die weise Voraussicht seines Urgroßvaters.
Eine Staubwolke wirbelte auf und stieg ihm in die Nase, als er den Riegel anhob und aus der Halterung löste. Ein befreites Ächzen ging durch die Tür, so als hätte sie all die Jahre auf ihren Einsatz gewartet. Martin zog sie ohne Umschweife auf und tauchte ein in die kühle, nach Erde und Moder riechende Luft.
Spinnweben klatschten ihm ins Gesicht und verbrannten im Fackelschein. Hin und wieder krabbelte eines der Tiere ihm in panischer Flucht über die Hände oder die Stirn. Ob es hier unten Ratten gibt?, fragte Martin sich, doch er hatte nicht die Zeit, das zu überprüfen.
Irgendwann wurde die Dunkelheit so drückend, dass nicht einmal mehr der Fackelschein ein Trost war. Die Vorstellung, in seinem eigenen Grab zu liegen, ließ Martins Herz panisch rasen.
Nach einer Weile gelangte er in einen Teil des Ganges, in dem sich im Lauf der Jahre Wurzeln ihren Weg durch die Decke gebahnt hatten. Hier war nun deutlich zu erkennen, dass die Röhre vor mehr als hundert Jahren gebaut worden war. Die Bretter, die die Decke absicherten, wirkten morsch, und Martin zog instinktiv den Kopf ein, um nicht aus Versehen eines davon zu berühren und damit eine Katastrophe auszulösen.
Anstelle der Spinnweben strichen nun feuchte Wurzeln über sein Gesicht, und das Gefühl, das Martin an die Berührung von Leichenfingern erinnerte, ließ ihn erschaudern. Stellenweise war das Wurzelgeflecht so dicht, dass es Vorhängen glich und Martin sich fragte, ob sein Urgroßvater den Gang unter ein Waldstück oder gar unter den Weinberg geleitet hatte.
Unvermittelt löste sich etwas Erdreich und fiel auf die Fackel. Martin sprang erschrocken zur Seite, und dabei glitt ihm der Stab aus der Hand. Kurz noch glomm die Fackel wie zum Protest auf, dann verlosch sie.
Nachdem Martin den ersten Anflug von Panik überwunden hatte, realisierte er, dass er jetzt nur durch tasten vorankommen musste. Er war schon versucht, einen Fluch auszustoßen – doch gegen wen sollte er ihn richten? Gegen seinen Vater? Gegen Rudolph von Katzenburg? Ganz bestimmt nicht gegen Bella.
Wenn einer Schimpf verdient hatte, dann er selbst. Er hätte ihre Flucht einfach besser vorbereiten müssen.
Da er nicht verschüttet werden wollte und die dünne Luft hier unten seine Gliedmaßen allmählich schwächer werden ließ, setzte er seinen Weg auf allen vieren zügig fort. Die Wände des Ganges waren glitschig, und zuweilen hatte er das Gefühl, irgendwelche Asseln unter den Fingern zu spüren. Die Wurzeln peitschten noch eine ganze Weile gegen seine Schultern, doch als er schon glaubte, der Gang wolle gar kein Ende mehr nehmen, strömte ihm ein erfrischender Luftzug entgegen.
Begierig sog Martin die Luft in die Lungen, und sogleich gewann sein Körper wieder an Kraft, auch wenn seine Knie weiterhin zitterten, als wäre er die ganze Zeit durch Morast
Weitere Kostenlose Bücher