Die Rebenprinzessin
Bärbach so gut es ging, auch wenn die verzehrende Sehnsucht nach Martin blieb. Daran konnten alle Freundlichkeit und alle Arbeit nichts ändern. Wann immer sie Zeit hatte, starrte sie sehnsuchtsvoll aus dem Fenster ihrer Zelle auf den Weinberg. So war es auch an diesem Morgen.
Nebel krochen wie Geister über den Weinberg und um das Kloster herum. Der Himmel ließ kaum einen Sonnenstrahl durch. Das graue Zwielicht legte sich schwer auf Bellas Gemüt. Aber da war noch etwas anderes. Obwohl sie das Ungemach des Winters im Kloster nur allzu gut kannte, gesellte sich ein Unwohlsein hinzu, das sie sich nicht erklären konnte.
Sie fühlte sich elend, was durchaus an ihrem Herzleid liegen konnte. Doch alles konnte sie nicht damit erklären, was sie spürte. Eine Veränderung ging in ihr vor, als würde sie sich häuten wie eine Spinne.
Die anderen Schwestern schienen das nicht zu bemerken, aber sie spürte es überdeutlich.
Ein paar Tage später, als sie am Morgen ihr Hemd anzog, bemerkte sie, dass ihre Brüste spannten und schmerzten. Das Gefühl kannte sie eigentlich von der Zeit, in der ihr Blut kam. Dieses war seit einigen Tagen überfällig, doch wie sie wusste, konnte die Kälte des Flusses daran schuld sein.
Oder ein Kind.
Alles krampfte sich in Bella zusammen, und ein Schwindel erfasste sie so hart, dass sie auf die Pritsche niedersinken musste. Sie dachte an den Abend, als sie sorgenvoll durch ihre Kemenate gelaufen war und vorgehabt hatte, Martin zu fragen, ob er sie denn auch noch wollte, wenn sie ein Kind von ihm empfing. Damals hatte sie nicht den Mut dazu gehabt und ihm nur von Oda erzählt, deren Schicksal sie nicht kannte. Konnte es sein, dass ihre Sorge nicht unbegründet gewesen war?
Angst übermannte sie. Nicht nur weil sie fürchtete, aus dem Kloster gejagt und endgültig von ihrem Vater verstoßen zu werden. Sie fürchtete auch die Schwangerschaft an sich. Bilder von blutigen Tüchern und das bleiche Gesicht ihrer Mutter kamen ihr wieder in den Sinn.
Bevor diese allerdings überhandnehmen konnten, schob sie sie entschlossen beiseite. Nein, ich lasse mich davon nicht irre machen, sagte sie sich und erhob sich wieder.
Als sie sich erneut hinabbeugte, um sich zu waschen, sah sie im Wasserspiegel des Zubers jedoch sich selbst, totenbleich, mit eingesunkenen Augen und einem Blumenkranz im Haar, wie ihn ihre Mutter getragen hatte, als man sie in das Sterbelaken gewickelt und die Gruft über ihr verschlossen hatte. Daraufhin trat Schwärze vor ihre Augen und riss sie zu Boden.
»Bella, was ist denn los?«, zerrte sie eine Stimme nach einer Weile aus der Dunkelheit fort.
Als sie zögerlich die Augen öffnete, erkannte die Grafentochter das Gesicht von Anna, das rund und voll wie der Mond über ihr schwebte. Nur lag im Gegensatz zum Mond kein gemütlicher Ausdruck darauf. Die Augenbrauen waren sorgenvoll zusammengezogen und die Augen so wässrig, als wollte sie gleich losweinen.
Als sie erkannte, dass ihre Freundin erwachte, hellte sich ihre Miene etwas auf. »O Bella, was war dir nur?«, fragte sie.
Die Angesprochene realisierte nach und nach, dass sie auf dem Boden neben dem Dreibein mit dem Waschzuber lag. Sie ließ sich von Anna aufhelfen und blickte sich im Raum um, doch außer der Novizin war niemand da.
»Mir war auf einmal schwarz vor Augen«, beantwortete Bella die Frage der Novizin, als sie merkte, dass Anna sie die ganze Zeit über fragend ansah. »Wahrscheinlich habe ich mich ein wenig erkältet.«
»Das wäre kein Wunder«, entgegnete Anna und rieb ihr besorgt wie eine ältere Schwester die Schultern. »Immerhin bist du nun wieder warme Gemächer gewohnt.«
Aus dem Mund einer anderen hätte es wie ein Vorwurf klingen können, doch Bella wusste, dass es Anna nicht böse meinte.
»Vielleicht solltest du die Mutter Oberin bitten, dir noch ein Hemd zu geben. Oder noch einen Mantel, damit du nicht so frierst. Und essen solltest du mehr. Du hast in den vergangenen Tagen gepickt wie ein Spatz!«
Da Anna mit alledem recht hatte, nickte Bella, während sie sich fragte, was die Äbtissin wohl dazu sagen würde, dass der Graf ihr eine Schwangere geschickt hatte. Doch bevor noch jemand Verdacht schöpfte, rappelte sie sich wieder auf. Mit ihren Ängsten kämpfen konnte sie auch, wenn es Nacht war.
Der Weinberg war zwar noch immer nicht vollständig kahl, aber die Blätter färbten sich zusehends gelb und rot, und man begann sich auf den Winter vorzubereiten. Auch jetzt waren noch
Weitere Kostenlose Bücher