Die Rebenprinzessin
versuchten ihn wieder aufzurichten. Es würde eine Weile dauern, bis das zerbrochene Rad notdürftig geflickt war. Und noch länger, bis sie weiterfahren konnten.
Missmutig trat Roland von Hohenstein an den Wegrand und blickte zum Himmel hinauf, wo das Morgenrot allmählich den bleichen Tageswolken wich. Das Licht erreichte die Schatten innerhalb des Waldes jedoch nicht, und ein wenig unbehaglich wurde ihm nun doch zumute. Dies hier war das Reich der Räuber – wer konnte schon wissen, wo sie sich aufhielten und wann sie zuschlugen?
Vielleicht waren bereits jetzt mehrere Augenpaare auf das Geschmeide gerichtet, das er trug. Oder Klingen aus der Scheide gezogen, die nach seinem Blut lechzten?
Unbehaglich verschränkte er die Arme vor der Brust, als würde er frieren. Seine Diener, die mittlerweile die Kutsche aufgerichtet hatten und nun damit begannen, das zerbrochene Rad abzubauen, bekamen von alledem nichts mit. Sie hatten keine Zeit, über Räuber oder das Unwohlsein ihres Herrn nachzudenken, denn ihnen rann der Schweiß nur so über Stirn und Rücken.
Nachdem Bella bis zum Morgengrauen aus dem Fenster gestarrt hatte, begab sie sich zur Zeit der Laudes an ihre Waschschüssel und versuchte mit dem eiskalten Wasser die Müdigkeit zu vertreiben. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, und ihre Seele brannte, als hätte sich ein glühender Schürhaken darauf gelegt. Selbst das kalte Wasser, das eine Gänsehaut über ihren Körper jagte, verschaffte ihr keine Linderung.
Bella wusste, dass es die Angst vor dem Fürst von Hohenstein war, die sie peinigte. Doch wie sollte sie ihr entrinnen? Sie konnte zwar Katrina und auch dem Pater ihr Leid klagen, doch gegen den Willen des Grafen vermochte niemand etwas auszurichten.
Während sie sich abtrocknete, blickte sie seufzend auf das grünrote Kleid. Sicher erschienen gleich die Mägde, um ihr beim Ankleiden zu helfen. Aber das wollte sie nicht. Es gab so vieles, was sie sich auf ihrer Burg ansehen wollte, um dem Bild der Erinnerung eines aus dem Jetzt hinzuzufügen. Für all die Tage, wenn ich in der Ferne als Gemahlin eines Mannes lebe, den ich nicht liebe.
Also griff sie, nachdem sie sich ein frisches Hemd übergezogen hatte, erneut nach dem Ordenskleid.
Als sie die Kemenate verließ, erwachte das Leben in der Burg allmählich. Fröhlich plappernd eilten die Mägde durch die Gänge, Wäschekörbe in den Händen, und von draußen drangen die Rufe der Knechte und Stalljungen herein. Ein junger Hahn erprobte seine Stimme, und das Quietschen eines Schweins klang so, als ginge es ihm auf der Stelle an den Kragen.
Bella wünschte sich so sehr, eine Aufgabe zu haben. Im Kloster hatte sie ihre festen Arbeiten, jetzt dagegen stieg schon am frühen Morgen die Langeweile in ihr auf. Ihr Vater duldete es gewiss nicht, wenn sie sich im Weinkeller herumtrieb.
Ihr erster Weg an diesem Morgen führte sie in die Küche. Dort hoffte sie Katrina zu treffen, und wenn nicht sie, dann die Köchin, die immer noch dieselbe war wie damals.
Der Duft nach Milch und frischen Wecken strömte ihr entgegen, als sie den großen Raum betrat. Wenn sie außer dem Weinberg einen Ort benennen sollte, an dem sie den ganzen Tag verbringen konnte, wäre dies zweifellos die Küche gewesen.
Der Raum hatte sich nicht verändert. Die massigen Wände aus grauem Feldstein hatten sämtliche Gerüche in sich aufgesogen und gaben sie, wenn die Esse nicht mehr loderte, wieder an die Luft ab. Die Wand oberhalb des mächtigen Feuerlochs war geschwärzt, die Mägde, die sich in ihrer Nähe aufhielten, hatten rote Gesichter, denn das Feuer prasselte, als gelte es den Höllenfürsten warmzuhalten. Auf dem langen, blank gescheuerten Tisch reihten sich Kapaune, Fasane, Enten und das Gemüse auf. Kohlköpfe drohten jeden Augenblick vom Tisch zu kullern. Davor jedoch stand das Blech mit den Backwaren, das die Köchin gerade aus dem Feuer gezogen hatte.
In Kindertagen hatte sich Bella zuweilen hinunter in die Küche geschlichen, um Rosinen und Backwerk zu stibitzen. Mit ihrer Beute hatte sie sich dann in einen geheimen Winkel der Burg zurückgezogen und sie genüsslich verzehrt.
Heute wusste Bella, dass Hulda, die Köchin, oftmals ein Auge zugedrückt und so getan hatte, als bemerkte sie den Diebstahl nicht.
»Guten Morgen!«, rief sie fröhlich, worauf sämtliche Gespräche verstummten.
Die Mägde wirbelten herum, und eine von ihnen war über das Auftauchen der Grafentochter so verwundert, dass sie eine Schüssel
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