Die Rebenprinzessin
dem Weinberg zu zerren. Außerdem musste er sie auf dem weitläufigen Gelände erst einmal finden.
Sie tauchte in einen der Gänge ein, die zwischen den Weinstöcken entlangführten. Erst als sie den Rain des Weinberges ein Stück weit hinter sich gelassen hatte, so dass sie nur noch Weinstöcke sah, blieb sie stehen.
Die Sonne strahlte vom blankgeputzten Himmel auf sie herab, das Weinlaub ringsherum flüsterte. Bella streckte eine Hand nach einem Weinstock aus, streichelte die Blätter und berührte die glatte Haut der Trauben. Noch trugen sie die Kühle des Morgens in sich, doch wenn die Sonne noch länger auf sie schien, würden sie sich erwärmen, bis sie beinahe wie eigenständige Lebewesen wirkten.
Bella richtete ihren Blick auf die Rebe in ihrer Hand. Nicht mehr lange, und sie musste geerntet werden. Ob Roland von Hohenstein nun kam oder nicht.
Auf einmal vernahm sie hinter sich ein Rascheln.
»Na, versteckst du dich im Weinberg?«, fragte eine Stimme, die leicht atemlos wirkte.
In der Annahme, dass es Heinrich Oldenlohe war, den ihr Vater ihr nachgesandt hatte, wirbelte Bella erschrocken herum.
Anstatt in das Gesicht des Boten blickte sie in das eines jungen Mannes. Sie erinnerte sich daran, ihn gestern kurz auf dem Hof gesehen zu haben, aber da hatte sie nur einen flüchtigen Blick für ihn übrig gehabt. Nun stellte sie überrascht fest, dass er mit seinem verschmitzten Gesichtsausdruck recht sympathisch wirkte.
»Ich verstecke mich nicht!«, behauptete sie, doch sie sah ihm an, dass sie ihm nichts vormachen konnte.
»Wie du willst. Aber du musst zugeben, dass es so ausgesehen hat.«
»Spionierst du mir etwa nach?«, fragte Bella. »Hat mein Vater dich geschickt, um mich zu holen?«
Martin schob einen Trieb des Weinstocks beiseite, der halb vor seinem Gesicht hing. So vorsichtig, dass es Bella anrührte. »Ich spioniere nicht«, sagte er dann. »Auch hat dein Vater mich nicht geschickt. Ich habe nur gesehen, dass du über den Hof gehetzt bist, als wäre eine Meute Wölfe hinter dir her.«
Bella lächelte schief. Der Vergleich ist treffend, ging es ihr durch den Kopf.
»Ich bin übrigens Martin.« Der junge Mann deutete eine kleine Verbeugung an, die beinahe ein wenig zu elegant für einen einfachen Pflücker und Keltergehilfen wirkte.
»Sehr erfreut«, entgegnete Bella verlegen. Wenn sie ehrlich war, gefiel ihr der Bursche. Nicht nur wegen seines Aussehens, sondern vor allem wegen seiner Art, die so leicht war wie eine Feder.
»Wie ist dein Name?«, fragte der junge Mann weiter.
»Ist das von Belang?«, entgegnete Bella, denn sie wollte sich ihre Sympathie nicht sofort anmerken lassen. Der Bursche würde womöglich auf dumme Gedanken kommen.
»Aber natürlich!«, entgegnete Martin lächelnd. »Von großem Belang sogar. Immerhin würde ich gern wissen, wen ich hier beschützen muss.«
»Beschützen?«, schnaufte Bella unwillig. »Habe ich dich etwa darum gebeten, mich zu beschützen?«
»Nein, das hast du nicht. Aber du versteckst dich zwischen den Rebstöcken, als würdest du dich vor jemandem fürchten.«
Bella strich sich entschlossen ein paar Blätter vom Rock. »Ich fürchte mich vor niemandem! Und einen Beschützer brauche ich auch nicht, damit du es weißt.«
Warum sie sich so ruppig gab, wusste Bella selbst nicht. Es wäre ein Leichtes gewesen, wieder loszulaufen, und sicher wäre es ihr gelungen, den jungen Mann abzuschütteln. Stattdessen konnte sie nur schwer den Blick von seinem Gesicht lassen. Es war gebräunt, als hätte er in den vergangenen Monaten viel Zeit gehabt, um in die Sonne zu schauen. Sein Haar war dunkel wie das eines Mohren, und dagegen leuchteten seine blauen Augen wie der Sommerhimmel. Um seine Lippen spross ein etwas unordentlicher Bart.
Dieses spöttische Lächeln, dachte sie. Offenbar gefällt es ihm, dass ich nicht so still wie andere Mädchen bin.
»Wie du meinst«, gab er nun scheinbar nach. »Wenn du mir schon nicht deinen Namen nennen willst, magst du mir dann vielleicht erklären, warum du gestern wie vom Teufel gehetzt über den Hof gerannt bist?«
»Ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen.«
»Etwas Wichtiges? In der kleinen Hütte?«
»Dort lebt eine Bekannte von mir.«
»Die Knechte erzählen, dass sie eine Hexe sei.«
Die Ohrfeige kam schnell und schmerzhaft, und Bella erschrak selbst. Nur selten schlug sie zu. Doch niemand durfte Katrina eine Hexe nennen! Nicht einmal im Spaß.
»Wofür war denn das?«, fragte Martin überrascht,
Weitere Kostenlose Bücher