Die Rebenprinzessin
das Geheimnis?
Erregung erfasste ihn. Obwohl er viele Jahre nicht mehr auf Burg Bärenwinkel gewesen war und auch nie eine besondere Liebe für den Wein entwickelt hatte, wusste er, was das bedeuten konnte. Schon seit vielen Jahren hatte es im Einrich keine neuen Weinsorten mehr gegeben. Während die Franzosen ihre Reben munter kreuzten und auch die Italiener wie bei so vielem nicht zaghaft waren, dominierte auf deutschem Boden nach wie vor der robuste Heunisch. Burgunder wuchs hier nur schlecht wegen der fehlenden Sonne, auch die italienischen Sorten vertrugen das Wetter hier nicht.
Graf von Katzenburg hatte vielleicht einen kräftigeren Rebstock gezogen, der widerstandsfähiger war und sich eines Tages gegen die alten Sorten durchsetzte. Wenn das geschah, hätten sämtliche Weinbauern in der Gegend das Nachsehen und wären von ihm abhängig, denn er würde darüber entscheiden, welches Weingut einen Ableger der neuen Rebstöcke erhielt.
Er musste einen Trieb dieser Pflanze in seinen Besitz bringen! Allerdings, das wusste Martin immerhin, konnte er dazu nicht so einfach einen Trieb abschneiden.
Die Stimme seines Vaters hallte wieder durch sein Ohr: »Einen geeigneten Ableger erhältst du, wenn du ihn an der Stelle, an der er von der Mutterpflanze getrennt werden soll, in den Boden eingräbst. Dann wartest du, bis er wurzelt, und erst dann machst du ihn vom alten Stock ab.«
Das bedeutete, dass er hier eine ganze Weile ausharren musste. Außerdem musste er das Vergraben des Ablegers geschickt anstellen. Immerhin sollte ihn niemand bemerken. Aber Martin war zuversichtlich. Einen Missstand erkannt zu haben, bedeutete letztlich, ihn angehen zu können. Dieser Meinung war sein greiser Rechtsprofessor gewesen. Gewiss ließ sich diese Weisheit auch auf Geheimnisse anwenden.
Wieder fiel sein Blick auf die beiden Männer, die allmählich in der grünen Blätterflut verschwanden.
Als er sicher war, dass sie ihn nicht mehr hören konnten, richtete Martin sich auf. Seine Wange brannte noch immer, aber auf seinem Gesicht lag ein siegesgewisses Lächeln.
Mit bangen Blicken musterte Bella den Hof. Bis jetzt hatte sich Fürst von Hohensteins Kutsche noch nicht blicken lassen.
Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass es gerade heute ein paar Räuber auf die Geldbörsen der Reisenden abgesehen haben?, fragte sie sich. Bei meinem Glück gewiss kein einziger, beantwortete sie ihre Frage niedergeschlagen selbst. Roland von Hohenstein wird kommen, mich mitnehmen und mich weit weg von meinem Weinberg bringen. In seiner Burg darf ich ihm dann Söhne gebären und mich zu Tode langweilen.
Ein Schauder überzog ihre Arme, als sie an ihre Mutter dachte. Es ist das Gesetz Gottes, dass Frauen Kinder gebären. Allerdings konnte sie sich nicht entsinnen, dass in der Bibel etwas über die Anzahl stand. Sie war die Erstgeborene des Grafen Katzenburg. Hätte das nicht gereicht? Warum noch ein Sohn für den Weinberg? Hätte ihr Vater sie nicht anleiten können, die Geschäfte zu übernehmen?
Nachdem sie noch eine Weile traurig ihr Abbild in den bunten Scheiben betrachtet hatte, aus denen das Fenster zusammengesetzt war, schob sie ihren Trübsinn beiseite. Der Junge, überlegte sie. Vielleicht sollte ich nach ihm sehen und mich für meinen Vater entschuldigen. Immerhin scheint er recht nett zu sein.
Natürlich wäre der Graf von Katzenburg schockiert, wüsste er, dass sich seine Tochter um einen gewöhnlichen Pflücker sorgte. Aber der Junge gefiel Bella, und da sie ohnehin nichts anderes zu tun hatte, erhob sie sich von ihrem Fensterbrett und verließ ihre Kemenate.
Auf dem Hof herrschte reges Treiben. Nicht nur einmal stoben die Hühner protestierend gackernd auseinander, weil ein Knecht oder eine Magd ohne nach links oder rechts zu schauen über das Pflaster eilte. Stangen mit gerupften Hühnern wurden in die Küche getragen, der Kellermeister hieß ein paar Knechte, Weinfässer heraufzuholen, und einige Bauern aus der Gegend feilschten mit dem Haushofmeister um den Preis ihrer Karrenladungen. Wahrscheinlich hatte ihr Vater seinen Untertanen eingeschärft, dass bis zum Eintreffen des königlichen Günstlings alles vorbereitet sein sollte.
Bella schob den unangenehmen Gedanken an Roland von Hohenstein beiseite, als sie den Jungen aus dem Weinberg in der Tür der Küferei erblickte.
Er schickte sich gerade an, Fässer auszuschrubben. Eine undankbare Arbeit für einen aufgeweckten Kopf wie ihn, fand Bella. Wahrscheinlich hatte ihr Vater
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