Die Rebenprinzessin
keine Rebe.«
»Das da sind wohl Ranken«, sagte Martin und deutete auf ein paar zarte, gedrehte Ästchen, die nicht einmal ein Blatt aufwiesen.
»Stimmt!«, entgegnete Bella und konnte ihr Lächeln nun nicht mehr länger zurückhalten. »Du weißt also doch schon etwas!«
»Habe ich es nicht gesagt?«, entgegnete Martin, dann verstummte er, denn Bella sah ihn nun direkt an, und das Grün ihrer Augen umschlang seine Seele wie eine Ranke, die sich an ihm festklammern wollte. Und zwar für immer.
Die junge Frau erforschte sein Gesicht einen Moment lang, dann senkte sie den Blick wieder. »Siehst du diese Rebe hier?«, fragte sie und nahm ein besonders prächtiges Exemplar in die Hand. Martin bemerkte, dass sie dabei so vorsichtig war, als würde sie die Haut ihres Geliebten berühren. Oder seine Wange. »Sie ist ideal. Dichtbeerig, aber die Trauben stehen nicht zu dicht, dass man welche hätte entfernen müssen, weil sie das Wachstum behindern. Die Trauben konnten sich gut und gleichmäßig entwickeln. Wahrscheinlich wird dieser hier einer der besten Jahrgänge. Wenn nicht alle Blüten zu Trauben geworden wären, hätte man gesagt, dass die Gescheine, also die Ästchen, an denen die Trauben hängen, durchgerieselt sind.«
Martin stieß einen bewundernden Pfiff aus.
»Was gibt es denn da zu pfeifen?«, fragte Bella verwirrt.
»Ich bin beeindruckt von deinem Wissen. Hat dein Vater dich das gelehrt, oder waren es die Nonnen im Kloster?«
»Beide, würde ich sagen. Mein Vater hat es nicht gern gesehen, wenn ich mich bei den Winzern herumgetrieben habe, aber das hat mich nicht davon abgehalten, zu ihnen zu gehen. Solange er nicht die Hoffnung auf einen Sohn hatte, betrachtete er mich noch als seine Erbin.« Bellas Stimme brach. Eigentlich hatte sie nicht zulassen wollen, dass Bitterkeit sie überkam, doch nun griff dieses Gefühl erneut mit scharfen Klauen nach ihr.
»Halte mich für ungehobelt, aber in meinen Augen bist du seine Erbin«, platzte es aus Martin heraus, was er beinahe sofort bereute, denn es klang ziemlich grob.
»Ja, ich bin seine Erbin«, entgegnete sie traurig. »So oder so. Es sei denn, er enterbt mich wegen meines Starrsinns.«
»Das wird er nicht tun!«, gab Martin zurück. »Sofern der Weinberg ihm mittlerweile nicht auch egal ist.«
Schnell klappte er den Mund wieder zu, als er merkte, dass er versucht war, seinen eigenen Vater zu erwähnen. Den Feind der Familie Katzenburg.
»Wer weiß schon, was meinem Vater überhaupt noch wichtig ist?«, fragte Bella gedankenverloren, während sie über ein paar Weinblätter strich, die bereits rote Sprenkel trugen. Dann erhob sie sich wieder. »Wir wollten doch nach dem neuen Wein sehen. Lass uns das besser tun, bevor mein Vater nach mir suchen lässt. Bestimmt ist er schon aus den Federn heraus.«
Sie schritten erneut durch die Reihen der Rebstöcke, während die Geräusche von der Burg immer lauter wurden. Selbst bis hierher waren die Rufe des Kellermeisters zu hören.
Martin fragte sich, ob Bernhard Wackernagel vielleicht auf der Suche nach ihm war, und ein mulmiges Gefühl überkam ihn. Wenn der Kellermeister ihn nicht fand, würde er ihm bei seiner Rückkehr sicher die Ohren langziehen. Vermutlich würden Thomas und seine Freunde ihn noch darin bestärken, dass er eine Strafe verdient hätte. Aber die Chance, die neuen Reben gezeigt zu bekommen, wollte er sich nicht entgehen lassen.
Bella war inzwischen wieder stehen geblieben und überlegte, wo ihr Vater den neuen Wein angebaut haben könnte. Aufmerksam ließ sie den Blick durch die Reihen schweifen, auf der Suche nach einer anderen Blattfarbe, und versuchte sich vorzustellen, wie der Weinberg wohl von oben aussah, aus der Perspektive einer darüber hinwegflatternden Taube.
Da der Wein neu und empfindlich war, hatte ihr Vater sicher eine geschützte Stelle ausgesucht. Eine, die von der Sonne gut beschienen war und die der Wind weitestgehend in Frieden ließ.
»Ich hab’s!«, rief sie plötzlich aus und rannte los.
»Was hast du?«, fragte Martin, erhielt aber keine Antwort, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Die Weinblätter wogten in dem Luftzug, den Bella verursachte. Ein paar davon rissen sogar unter der Berührung ihres Arms oder ihrer Schulter ab und verfingen sich in ihrem Haar.
Martin, der ihr hinterherrannte, verglich sie unwillkürlich mit einem dahinfliegenden Engel, dem Engel des Weins. Kann ich diesem Wesen wirklich Schaden zufügen? Der Gedanke
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